Unter dem Motto „Ausspekuliert“ demonstrieren 10 000 Menschen gegen die Auswüchse auf dem Wohnungsmarkt. Die Münchner SPD muss sich kritische Fragen gefallen lassen – und sieht vor allem die CSU in der Verantwortung .
inen besseren Ort für eine Abschlusskundgebung kann es kaum geben. 16.30 Uhr ist es, als der Demonstrationszug das Siegestor erreicht. Auf der Bühne sprechen Vertreter mehrerer Parteien, es geht um eine Reform des Bodenrechts, um Modernisierungsumlage, Mietpreisbremse und sozialen Wohnungsbau. „Mieten runter“ – so einfach ist es nicht. Es gibt Musik und ein sogenanntes „Worst of Mieterstammtisch“. Dabei erzählen Münchner Mieter von ihren schlimmsten Erlebnissen, etwa davon, wie mit Mieterhöhungen und Sanierungen versucht wird, sie aus ihren Wohnungen zu drängen.
Unter dem Motto „Ausspekuliert“ sind am Samstag Tausende Münchner auf die Straße gegangen, um „für bezahlbaren Wohnraum und gegen soziale Ausgrenzung“ zu protestieren. Dazu aufgerufen hatte ein Bündnis aus etwa 100 Mietergemeinschaften, Organisationen und Parteien. Die Polizei sprach am Abend von bis zu 8000 Menschen im Demonstrationszug und 10 000 bei der Abschlusskundgebung. Die Veranstalter sprachen von 11 000 Teilnehmern und der „größten Mieterdemo, die München je gesehen hat“. Den ganzen Tag über spürbar war, dass das Wohnen längst nicht mehr nur ein Problem für Menschen mit niedrigen Einkommen ist.
Sondern auch für die mit mittleren. Kurz vor 14 Uhr auf dem Mariahilfplatz in der Au: Der Platz füllt sich, die Percussiongruppe Drumadama trommelt die Leute in Stimmung. Beatrix Zurek, die Vorsitzende des Mietervereins, hat unter ihrem gelben „Ausspekuliert“-Button einen zweiten Button angeheftet. Der sieht fast genau gleich aus, „Stoppt die Spekulation!“, steht darauf, und Zurek erzählt, sie habe ihn im Sommer beim Aufräumen in einer Kiste gefunden. „Das Thema beschäftigt uns schon etwas länger“, sagt sie. Der Button stamme aus dem Jahr 1990.
Vier Wochen vor der Landtagswahl würden die Parteien versuchen, sich zu positionieren, sagt Mitorganisator Roland Fischer, selber Vize-Chef der Münchner SPD. Um keine Partei zu bevorzugen, habe man deren Reihenfolge im Demozug deshalb ausgelost. Los geht es mit der ödp, gefolgt von Mut, Piraten, Freien Wählern, Linken, SPD und Grünen. Die CSU ist nicht dabei. Ilse Aigner, Bayerns für Wohnen zuständige Ministerin, twittert jedoch, sie nehme die Sorgen der Demonstranten „sehr ernst“. Der Freistaat werde mit der neu gegründeten Wohnungsbaugesellschaft Bayernheim 10 000 Mietwohnungen bauen. Für einige Demonstranten ist die CSU indes das Ziel des Protests: Der Ärger über den Verkauf der einst staatlichen Wohnungsgesellschaft GBW mit 33 000 bezahlbaren Wohnungen im Jahr 2013 wird immer wieder sicht- und hörbar. Die größte Empörung richtet sich aber gegen „Miethaie“, Investoren und Spekulanten. Vorneweg fährt der linke Motorradclub Kuhle Wampe, der auch bei der Großdemonstration „Ausgehetzt“ im Juli dabei war. Auf die Mietergemeinschaften folgt ein Traktor mit Bewohnern der Wagensiedlung Stattpark Olga, deren Zukunft ungewiss ist, weil sie ihren Standort verlassen müssen. Ihr Anliegen hatten sie zuvor in einem Brief an den Oberbürgermeister formuliert: „München braucht alternative Freiräume.
Und zwar nicht in Lochhausen oder Freiham, sondern in der Stadt.“ Die Route führt nun über die Corneliusbrücke. Schaut man nach links, geht der Blick zu jenen Menschen, die auf dem Münchner Wohnungsmarkt ganz unten stehen: den Obdachlosen unter der Reichenbachbrücke. Ein „Auszug der Münchner“ sollte der Protest werden, eine Woche vor dem Einzug der Wiesnwirte, hatten die Organisatoren angekündigt. Und so haben einige Teilnehmer Koffer dabei. Thomas Rogall, 57, hat seinen extra beklebt. „Pfiadi Bauminister Seehofer“ steht da, er würde den CSU-Politiker am liebsten verabschieden. Für bezahlbaren Wohnraum werde viel zu wenig getan. Noch kann der Physiotherapeut sich die Miete in Giesing leisten, „aber es zieht ganz schön an“. Freunde von ihm müssten mittlerweile als Rentner aus München wegziehen, weil sie sich die Stadt nicht mehr leisten könnten.
Es ist bestes Demowetter, trocken und nicht zu heiß. Münchner aller Altersgruppen sind gekommen, Studenten, Senioren, viele junge Familien. Am Viktualienmarkt springt eine Frau vom Bürgersteig auf die Straße: „Ist das hier die Demo gegen die hohen Mieten?“ Sie sei extra dafür aus der Nähe von Rosenheim angereist, erklärt Trude Maljarik, ehemalige Altenpflegerin, weil es auch im Umland immer teurer werde. Ein Stück weiter hält eine Frau ein Schild hoch, auf dem steht: „Noch mal Häuser besetzen – muss ich das wieder, wenn ich Rentnerin bin?“ Und dann ist da noch Tabea Pfeiffer. „17 Quadratmeter zu zweit – wie viel hast du?“, hat sie auf ihr Schild geschrieben. Seit einem Jahr lebt die Agrarwissenschaftlerin, 31, mit ihrer fünfjährigen Tochter in einem WG-Zimmer. Fünf Leute in einer Wohnung, drei Haushalte. „Klingt toll“, sagt Pfeiffer, „ist aber oft einfach anstrengend, laut und belastend“. Trotz ihres Masterabschlusses und 70-Prozent-Jobs im öffentlichen Dienst sei eine Wohnung für sie nicht drin, sagt sie. „Wohnungen gibt es ab 1000 Euro, da bliebe mir nur noch der Hartz-IV-Satz übrig.“ Die SPD hat es bei der Demonstration nicht so leicht. Kritiker machen ihr zum Vorwurf, dass sie mitläuft. Schließlich regiert die Partei selbst seit Jahren in der Stadt und auch im Bund mit. In der SPD verweist man gern darauf, dass die Probleme auf Landesebene ganz in CSU-Verantwortung seien. Und dass man im Bund auf zu viel Widerstand stoße. Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Margarete Bause sagt am Rand der Demonstration: „Der Vorwurf ist auf kommunaler Ebene nicht berechtigt.“ Gerade was die Förderung von Genossenschaften angehe, sei München weit vorne. Aber man könne schon fragen, wieso sich die SPD in Berlin nicht früher mehr eingesetzt habe für Mieter.
„Ausspekuliert“ sollte auch zeigen, wie viele verschiedene Menschen in der Stadt leben, und wie wichtig sie dafür sind, dass sie funktioniert. Ein Redner formuliert es auf der Bühne so: „Der Reichste in dieser Stadt kann nicht leben, wenn es keine Polizisten und Rettungskräfte gibt, die sich ebenfalls hier in der Stadt eine Wohnung leisten können.“
Quelle: Süddeutsche Zeitung