Eine Kolumne von Henrik Müller
Trotz der Corona-Rezession wird Wohnraum immer teurer. Doch die heraufziehende Angst vor Inflation hat das Zeug, den Boom zu beenden.
Kürzlich hat die neuseeländische Regierung einen fast schon revolutionären Schritt unternommen: Sie hat die Notenbank in Wellington darauf verpflichtet, künftig auch die Immobilienpreise zu stabilisieren. Wird Wohnraum rasch teurer, muss die Geldbehörde gegensteuern. Es gehe darum, „nachhaltigere Häuserpreise“ zu erreichen, so Finanzminister Grant Robertson.
Die neuseeländische Reform zeigt, wie groß der gesellschaftliche Stress ist, der von horrend teuren Immobilien ausgeht. Eine Gesellschaft nach der anderen gerät unter Druck – auf der anderen Seite des Globus, in Neuseeland, genauso wie bei uns in Europa.
Wo Häuser und Wohnungen stark im Preis steigen, gerät der soziale Friede in Gefahr. Die Mittelschichten plagen Abstiegsängste. Während Immobilienbesitzer reich werden, haben viele Bürger keine Chance mehr, Wohneigentum zu erwerben. Verständlich, dass sich Politiker um die Immobilienpreise sorgen. Ob allerdings die Notenbanken damit betraut werden sollten, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, ist eine andere Frage.
In Neuseeland folgt der Schritt der Regierung aus einem Immobilienboom, der seit dem Jahr 2000 praktisch ununterbrochen anhält. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind die Preise um 36 Prozent gestiegen. Die Politik stemmt sich gegen den Aufwärtstrend. 2018 verbot das Parlament Ausländern den Erwerb neuseeländischer Immobilien. Genützt hat es wenig.
Jetzt ist die Notenbank in Wellington dabei, die Kreditvergabe für Immobilienkäufe zu erschweren. Weil auch am anderen Ende der Welt die Zinsen nahe Null sind und die Notenbank in großem Stil Anleihen aufkauft, setzt sie auf regulatorische Eingriffe, etwa strengere Risikovorsorgeregeln für die Banken. Falls auch das nicht hilft, muss die Reserve Bank womöglich irgendwann die Zinsen anheben.
Kann Neuseelands Ansatz international zum Vorbild werden? Donnerstag tagt der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Zu tun gäbe es eigentlich auch in der Eurozone reichlich. Auch in den Quartieren der europäischen Metropolen sind die Märkte angespannt. Doch bei der Januar-Sitzung des EZB-Rats war Immobilieninflation kein Thema, wie sich dem Protokoll entnehmen lässt.
Wohnraum wird immer teurer, trotz Corona
Deutschlands Immobilienboom läuft bereits seit einem Jahrzehnt. Seit 2010 haben sich die Preise in deutschen Städten mehr als verdoppelt, kalkuliert die Bundesbank. Auch in ländlicheren Gegenden ist der Trend längst angekommen.
Allein in den vergangenen fünf Jahren zogen die Preise hierzulande im Schnitt um 40 Prozent an. Anderswo waren die Wertzuwächse noch stärker, darunter in den Niederlanden, Portugal, der Slowakei, Lettland und Litauen. Im Schnitt der Eurozone lag der Preisanstieg in den vergangenen fünf Jahren bei 25 Prozent. Tatsächlich gibt es kaum Länder, wo Häuser und Wohnungen nicht teurer geworden wären. (Eine der ganz wenigen Ausnahmen ist das dauermalade Italien.)
Zuletzt hat sich die Entwicklung nochmal beschleunigt, trotz Corona-Unsicherheit. Noch sind die Zinsen niedrig. Noch sind Immobilienfinanzierungen im Eurozonen-Durchschnitt für nur rund 1,35 Prozent zu haben. An den Finanzmärkten wetten viele längst auf steigende Inflationsraten – und das bedeutet: steigende Zinsen. Möglich, dass der Run auf Immobilien sich weiter beschleunigt, weil Investoren sich noch schnell die günstigen Finanzierungsbedingungen sichern wollen. Der lange Immobilienboom könnte abermals an Fahrt zulegen – und dann als große Blase platzen.
„Harder, better, faster, stronger“ – really?
Dies sind außergewöhnliche Zeiten. Derzeit wächst die Geldmenge im Euroraum um mehr als zehn Prozent jährlich. Dahinter verbergen sich Corona-Sondereffekte, insbesondere die massiv ausgeweiteten Anleihekäufe der EZB. Und doch: Als die Geldmenge zuletzt so stark stieg wie derzeit, folgte kurz darauf der Crash von 2008. In vielen Euro-Ländern sackten in den Jahren darauf die Immobilienpreise in den Keller.
Stehen wir vor dem nächsten Crash? Viele Anleger halten insbesondere den Mega-Stimulus in den USA für zu groß. Auch die Euro-Staaten pumpen beherzt Geld in die Wirtschaft, während die Notenbanken rund um den Globus nach wie vor das Gaspedal durchdrücken. Weil die Inflationsrisiken steigen, steigen auch die Zinsen auf den Finanzmärkten.
Doch die Reaktion der Notenbanken auf dieses Szenario ist ungewöhnlich. Statt allmählich eine Straffung der Geldpolitik ins Auge zu fassen, um aufkeimende Inflationsängste einzudämmen, werden sie noch expansiver. Die australische Notenbank hat kürzlich bereits auf die steigenden Kapitalmarktzinsen mit ausgeweiteten Anleihekäufen geantwortet. Auch die EZB interveniert, um die langfristigen Zinsen zu drücken.
Das Gebot der Stunde erinnere ihn an einen Daft-Punk-Song, sagte kürzlich EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta: „Harder, better, faster, stronger“ – nur wenn die Notenbanken sich hart ins Zeug legten, ließen sich die Konjunkturaussichten nach der Corona-Krise verbessern und schneller ein stärkerer Aufschwung erreichen.
Klingt entschlossen, aber dahinter steckt eine Logik, die traditionellen Notenbankern ziemlich fremd erscheinen muss: Wenn die Inflation einsetzt, es der EZB aber gelingt, die langfristigen Zinsen niedrig zu halten, fallen die realen Zinsen noch weiter. Und das würde den Aufschwung noch stärker anschieben, sagt Panetta.
Das Argument für eine solche Strategie lautet: Die Corona-Rezession ist so schwerwiegend, dass es eines beispiellosen Programms bedarf, um die Kratzer der Krise wegzupolieren.
Zwei Szenarien: Boom oder Crash?
Die Notenbanker gehen eine Wette mit hohem Risiko ein. Die Operation kann funktionieren – aber sie kann auch scheitern. Beides hätte massive Auswirkungen auf die Immobilienmärkte. Hier sind zwei Szenarien:
Geht die Sache gut aus, könnte sich der Immobilienboom noch Jahre fortsetzen. In einem optimistischen Szenario erreicht die Eurozonen-Wirtschaft irgendwann im kommenden Jahr ihr Vorkrisenniveau. Danach könnte eine positive Dynamik aus Wachstum, Investitionen und weitgehend stabilen Verbraucherpreisen einsetzen – bei weiterhin niedrigen Zinsen. Ideale Bedingungen aus Sicht von Immobilieninvestoren. Die Frankfurter Notenbanker wären dann mit ähnlichen Fragen konfrontiert wie heute ihre Kollegen in Neuseeland.
Sie müssten womöglich mit härteren regulatorischen Maßnahmen eingreifen, um weitere Preisübertreibungen zu bremsen.
Es kann aber auch ganz anders kommen. Möglich, dass die Unruhe unter den Anlegern angesichts der heraufziehenden Inflationsgefahren so groß wird, dass die Notenbanken einen raschen Anstieg der Kapitalmarktzinsen nicht aufhalten können. Die Finanzierungsbedingungen würden sich schon bald verschlechtern. Ein Abrutschen der Immobilienpreise wäre die wahrscheinliche Folge. Zumal sich die demographischen Aussichten eintrüben: Die Bevölkerung insgesamt wächst kaum noch, und gerade die dichtbesiedelten, teuren Städte erscheinen in Zeiten der chronischen Pandemiebedrohung nicht mehr so attraktiv wie früher.
Das Rückschlagpotenzial ist enorm. In den sieben größten deutschen Städten sind Wohnimmobilien um mehr als 35 Prozent überwertet, schätzt die Bundesbank. Und die „markanten Preisübertreibungen auf den städtischen Wohnungsmärkten“ hätten „während der Corona-Virus-Pandemie“ noch zugenommen.
Schwierige Konflikte
Bleibt die Frage, ob Notenbanken das Ziel verfolgen sollten, die Immobilienpreise zu stabilisieren, wie das in Neuseeland jetzt der Fall ist. Die Antwort ist nicht so einfach. Denn es sind Situationen denkbar, in denen sich die Zentralbank gezwungen sieht, die Zinsen anzuheben, um eine Hauspreisinflation in den Griff zu bekommen – und dafür eine Rezession provoziert. Notenbanken, die mehrere Ziele gleichberechtigt verfolgen sollen, laufen in schwierige Konflikte.
Aber zumindest sollten sie die Nebenwirkungen ihrer Politik im Blick behalten – und wenn nötig frühzeitig gegensteuern.
Quelle: manager magazin