Mehrere Hunderttausend Wohnungen fehlen in Deutschland. Experten warnen: Der Markt steckt in einer jahrelangen Abwärtsspirale. Das bedeutet schlechte Aussichten auch für viele Mieter.
André Kasimir steht auf einem Hinterhof in Berlin-Charlottenburg. Neben ihm schütten seine Mitarbeiter Beton in eine Baugrube. Hier passiert genau das, was Berlins Stadtplaner seit Jahren fordern: Nachverdichtung. Bereits bebaute Grundstücke werden noch dichter mit Gebäuden gefüllt, „nachverdichtet“ eben. In diesem Fall entsteht hier im Hof ein neues Haus mit Eigentumswohnungen.
Aktuell sei die Auftragslage noch gut. Doch jetzt, im November, sei auch absehbar, dass 2024 magerer werde. „Wir merken halt, dass die Auftragseingänge deutlich abnehmen und wir im nächsten Jahr deutlich weniger Umsatz machen werden. Und 2025 und auf absehbare Zeit wird es noch weniger“, sagt Kasimir.
Bauen rechnet sich seltener
Der Grund für Kasimirs Pessimismus: Die Zahl der Bauanträge ist bundesweit rückläufig, teilweise werden bereits genehmigte Projekte wieder abgesagt. Inflation und gestiegene Zinsen machen Investitionen zu oft unrentabel. Kalkulationen, die vor zwei Jahren noch gut aussahen, sind schlicht hinfällig. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts klagt inzwischen fast jedes zweite Unternehmen über Auftragsrückgang; mehr als jedes Fünfte sogar über Stornierungen von bereits erteilten Aufträgen.
Für einige der 90 Mitarbeiter in Kasimirs Unternehmen haben sich die beruflichen Aussichten innerhalb kürzester Zeit verfinstert: „Das wird mit Sicherheit dazu führen, dass man Kurzarbeit anmelden muss, früher oder später.“ Kasimir rechnet mir 20 Prozent weniger Aufträgen im kommenden Jahr. 2025 werde dann noch einmal einen weiteren Rückgang in ähnlichem Umfang bringen.
Aus der Baukrise in die Mietenkrise
Die Krise auf dem Bau dürfte sich bald auch auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar machen – sowohl für Eigentümer als auch für Mieter. Reiner Braun vom Forschungsinstitut empirica sagt, die derzeitige Lage führe gleich reihenweise zu ungewollten Folgeeffekten. Und: Viel dagegen machen könne man nicht. „Was zur Zeit passiert, ist ein Drama in Zeitlupe. Es ist völlig klar, dass die Neubauzahlen in den nächsten zwei, drei Jahren immer weiter einbrechen werden – und im gleichen Ausmaß die Mieten weiter steigen“, so Braun.
Gerade hat sein Institut den vierteljährlich erscheinenden „Blasenindex“ herausgebracht. Ergebnis: Ein Szenario, in dem in einer deutschen Großstadt bald eine Immobilienblase platzt, ist eher unwahrscheinlich. Stattdessen sind gleich mehrere Effekte zu beobachten, die das Wohnungsproblem zementieren dürften: Besonders in Großstädten gibt es bereits jetzt strukturell zu wenige Wohnungen. Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage droht durch die Bauflaute noch einmal deutlich größer zu werden. Das treibt die Mieten, besonders für Neuvermietungen.
Kaum noch Umzüge
Bestandsmieter aber müssen lediglich mit Mietsteigerungen innerhalb des rechtlichen Rahmens rechnen. „Das Ergebnis ist, dass die Differenz zwischen Neuvertragsmiete und Bestandsmiete immer größer wird. Da geht wirklich eine große Schere auf. Neuvertragsmieten liegen oft doppelt so hoch wie Bestandsmieten“, so Braun.
Es wird schlicht immer unattraktiver, seinen Altmietvertrag zu kündigen und einen neuen abzuschließen. „Lock-In-Effekt“ heißt das. Im Ergebnis führe das dazu, dass Wohnraum immer ineffektiver verteilt ist – und die Zahl der verfügbaren Wohnungen am Markt weiter sinkt: ein sich selbst verstärkender Effekt.
Und die Lösung? Kurzfristig könne man nicht viel tun, so Braun. Mittelfristig würde es helfen, wenn die Baukosten sinken. Indirekt könnte der Staat an den Steuerschrauben drehen. Brauns Vorschlag: die Grunderwerbsteuer, die beim Kauf von Bauland anfällt, streichen. Stattdessen müsste man die Grundsteuer, die jährlich entrichtet wird, verdoppeln.
Zu viele Vorschriften
Für den Staat sei es ein Nullsummenspiel, für den Wohnungsmarkt ein Katalysator, so Braun. Bauland würde günstiger, Wohnen dagegen dauerhaft zunächst etwas teurer – weil jährlich eine höhere Grundsteuer anfällt. Der Hauptgrund für hohe Mieten in Ballungsräumen aber seien Baukosten und vor allem die Knappheit an Wohnraum.
Eine weitere Möglichkeit, die Baukosten zu senken, sieht Ulrich Schiller, Geschäftsführer bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE in Berlin: „Wir müssen stark verteuernde und überbordende Bauvorschriften überarbeiten. Diese sorgen auch dafür, dass die Baukosten so hoch sind. Ich würde vorschlagen, die Baustandards der Länder nebeneinander zu legen und zu schauen: Wo kommt man auch mit weniger Regularien aus? Und das könnte man dann vereinheitlichen“, so Schiller.
Die HOWOGE baut im öffentlichen Auftrag – und plant, das auch weiter zu tun, trotz gestiegener Baukosten und Zinsen. 25.000 neue Wohnungen sollen „mittel- bis langfristig“ zu den 75.000 Einheiten im Bestand hinzukommen. Doch auch an den öffentlichen Wohnungsgesellschaften geht die Baukrise nicht spurlos vorbei. „Ich gehe schon davon aus, dass auch unser Unternehmen in den kommenden Jahren etwas geringere Neubauzahlen realisieren wird“, sagt Schiller. Wie viele Wohnungen das Unternehmen in den nächsten Jahren tatsächlich bauen werde, hänge auch davon ab, wie sich die Marktlage entwickelt.
Quelle: tagesschau