Wohnungsknappheit, Klimawandel, wachsende Städte und komplizierte Bauvorschriften: Wohnungs- und Städtebau sind drängende Themen. Doch von den vergangenen Bundesregierungen wurden sie unter „ferner liefen“ einsortiert. Das könnte sich jetzt ändern.
Horst Seehofer (CSU) war in der ablaufenden Legislaturperiode nicht nur Bundesinnenminister und Heimatminister. Sondern auch Bauminister. Letzteres habe man allerdings kaum bemerkt, kritisieren Bau- und Immobilienwirtschaft praktisch schon seit Beginn der Amtsübernahme.
Seehofer habe sich zu wenig Zeit genommen, habe zu wenig Sachkenntnis, und überhaupt sei die Eingliederung des Bauministeriums in ein Innenministerium völlig falsch gewesen, so die einhellige Meinung aus der Branche – und nicht nur dort, sondern auch bei Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und selbst beim Deutschen Mieterbund.
Seehofer hatte stets betont, dass angesichts rasant steigender Kauf- und Mietpreise Wohnen „die wichtigste soziale Frage unserer Zeit“ sei. Doch beim Neubau blieb die Regierung unter den zugesagten 1,5 Millionen neuen Einheiten. Und die Sicherung bestehender günstiger Mietwohnungen in Ballungszentren misslang.
Zehntausende Sozialwohnungen fielen während der Zeit Seehofers aus der Preisbindung, viel zu wenige kamen hinzu, kritisiert insbesondere der Mieterbund. Die Wohngelderhöhung Anfang 2020 gilt lediglich als Tropfen auf den heißen Stein. Denn bis zum Pandemiebeginn galoppierten die Mietpreise in fast allen Großstädten den Einkommen immer weiter davon. Viele Bauvorschriften im Baugesetzbuch, wofür das Bauministerium zuständig ist, sind immer noch kompliziert.
Svenja Schulze ist als Ressortchefin im Gespräch
Vor der Wahl wurde deshalb der Ruf nach einem eigenständigen Bauministerium wieder laut. Der könnte nun erhört worden sein. Am Sonntagabend machte eine Liste mit einer mutmaßlichen Aufteilung von Ministerien in der künftigen Regierung die Runde. Der Liste zufolge, die auch WELT vorliegt, ist ein Ressort „Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und ländliche Räume“ vorgesehen, geführt von der bisherigen Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Verhandlungskreise in Berlin wollten die Existenz einer solchen Liste allerdings nicht bestätigen. Sie sei sogar abwegig, hieß es, da in dem Dokument ein parlamentarischer Staatssekretär vorgeschlagen wird, der gar keinen Sitz im Parlament mehr hat.
In der Immobilienbranche wurde die Liste dennoch mit Begeisterung herumgereicht. „Die Schaffung eines eigenen Bauministeriums wird den bevorstehenden Aufgaben gerecht“, sagte der Präsident des Dachverbands Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA), Andreas Mattner.
„Wenn wir gemeinsam mit der Politik und der Stadtgesellschaft 400.000 neue Wohnungen pro Jahr stemmen wollen, müssen die Fäden für schnelleres Planen und Bauen an einem Ort wie dem Bauministerium zusammengeführt werden. Gleiches gilt für die Revitalisierung unserer Innenstädte, nachdem die Corona-Pandemie weiterhin für existenzvernichtende Schäden bei Unternehmen sorgt“, so Mattner weiter.
Das Bau-Ressort hat eine besonders volatile Geschichte in der jüngeren Vergangenheit der Bundesregierungen hinter sich. Ein echtes eigenes Bundesbauministerium gab es zunächst durchgehend von 1949 bis 1998, teilweise mit dem Namenszusatz „Wohnungswesen“ oder „Städtebau“.
Unter der Regierung Gerhard Schröders (SPD) wurde das Ressort dann erstmals verschmolzen zu einem Bundesministerium für „Verkehr und Bau“. In Zeiten großer Koalitionen hatte die CSU scheinbar ein Flatrate-Abonnement auf das entsprechende Ministeramt. Schließlich gab es noch ein Umwelt-, Bau- und Reaktorsicherheits-Ministerium, und nun das aktuelle Seehofer-Superministerium.
Freudige Resonanz auf virtuelles Bauministerium
Aus Sicht vieler Experten sind Bauen, Wohnen und Städtebau allerdings keine Querschnittsthemen, sondern bedürfen angesichts von Urbanisierung, Zuwanderung und Klimawandel besonderer Aufmerksamkeit. In zahlreichen Beiträgen votierte etwa der Immobilienexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Michael Voigtländer, für ein eigenständiges Bauministerium.
Der Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), Axel Gedaschko, sagt: „Es besteht Handlungsbedarf auf allen staatlichen Ebenen.“ Wohnungsknappheit, Städtewachstum, Klimawandel und immer komplexere technische Lösungen, aber auch die Stärkung des ländlichen Raums hätten besondere Aufmerksamkeit und Kompetenz nötig.
„Die notwendige Koordinierung schaffen wir nur, wenn die neue Bundesregierung endlich ein eigenständiges Bundesministerium für Wohnen, Bauen und Infrastruktur einrichtet“, so der GdW-Präsident.
In einer PR-Aktion erfand der GdW im Oktober sogar ein neues „Ministerium für gutes Wohnen“, schaltete eine fast realistische Ministeriums-Website online – und gab eine Pressemitteilung heraus, in der das neue Ressort begrüßt wurde.
„Nachdem das Thema Wohnen in den zurückliegenden Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurde, freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit einem endlich eigenständigen Ministerium für gutes Wohnen“, freute sich der Verband über das selbst erschaffene virtuelle Ministerium.
Quelle: WELT