Trotz großen Bedarfs werden in Deutschland immer weniger Wohnungen gebaut. Im ersten Halbjahr 2023 gab es ein Viertel weniger Genehmigungen. Das Wohnungsbauziel der Bundesregierung ist in weiter Ferne.
Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist im ersten Halbjahr in Deutschland um rund ein Viertel eingebrochen. Von Januar bis Juni wurde der Bau von 135.200 Wohnungen bewilligt, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Das waren 27,2 Prozent oder 50.600 weniger als im Vorjahreszeitraum. Im Juni lag die Zahl der bewilligten Wohnungen bei 21.800, ein Rückgang um mehr als ein Viertel (28,5 Prozent) gemessen am Vorjahresmonat.
Die Baugenehmigungen sind ein wichtiger Indikator hinsichtlich des Wohnungsmangels in Städten. In den Zahlen sind sowohl die Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Gebäuden als auch Umbauten enthalten.
„Ein ungemein düsteres Bild“
Rückgänge bei den Baugenehmigungen gebe es bei allen Gebäudearten, so die Statistiker weiter. In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden danach von Januar bis Juni 111.500 Wohnungen genehmigt – fast 31 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
„Die Bilanz für das erste Halbjahr 2023 zeigt im Wohnungsbau ein ungemein düsteres Bild“, erklärte der Bauindustrieverband. Eine Besserung sei nicht in Sicht. „Besonders dramatisch“ ist danach die Lage im Neubau von Eigenheimen.
Laut Statistischem Bundesamt ging die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um gut ein Drittel (35,4 Prozent) zurück. Bei den Zweifamilienhäusern sei die Zahl genehmigter Wohnungen um mehr als die Hälfte (53,4 Prozent) gesunken. Bei der Gebäudeart mit den meisten Wohnungen, den Mehrfamilienhäusern, schrumpfte die Zahl der genehmigten Wohnungen um gut ein Viertel.
„Zunehmend schlechtere Finanzierungsbedingungen“
Nach Jahren des Booms schwächelt die Bauwirtschaft nun schon seit geraumer Zeit. Die Gründe dafür bringen die Wiesbadener Statistiker auf den Punkt: „Zum Rückgang der Bauvorhaben dürften weiterhin vor allem steigende Baukosten und zunehmend schlechtere Finanzierungsbedingungen beigetragen haben.
„Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Tim-Oliver Müller, äußerte sich ähnlich: „Nach wie vor sorgen Zinssteigerungen, deutlich zulegende Baukosten, nochmals erhöhte energetische Anforderungen und die Unsicherheit über das weitere Vorgehen der Politik für ein Umfeld, in dem Investoren weiter auf der Bremse stehen.“
Verweis auf KfW-Förderung
Besserung sei nicht in Sicht. Lobbyist Müller fordert deshalb spätestens zum Wohnungsgipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 25. September ein „Paket mit Schlagkraft“. Auf der Wunschliste des HDB stehen etwa ein Ausweiten des Zinsverbilligungsprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), bessere Abschreibungsmöglichkeiten, ein Absenken der Grunderwerbsteuer und eine Investitionszulage für öffentliche Wohnungsgesellschaften.
Auch das Statistische Bundesamt verwies darauf, dass es seit März die Wohnbauförderung für klimafreundlichen Neubau der Förderbank KfW gibt. Diese Förderung könne von Privatpersonen zur Eigennutzung oder Vermietung sowie von Unternehmen beantragt werden. Noch sei allerdings kein eindeutiger Effekt dieser Maßnahmen auf die Genehmigungszahlen erkennbar.
Wohnungsbauziele in weiter Ferne
Tatsächlich sinkt die Zahl der Baugenehmigungen trotz der großen Nachfrage nach Wohnraum seit Monaten. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat eingeräumt, dass die Ampelkoalition ihr Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen verfehlen wird.
Die Bundesregierung will den Rückgang des Wohnungsbaus deshalb unter anderem mit Steuererleichterungen bremsen. Geywitz hatte kürzlich ein Maßnahmenpaket für September angekündigt und vor zwei Wochen eine degressive Abschreibung im Wohnungsbau vorgeschlagen. Bauherren könnten dann innerhalb der ersten acht Jahre 48 Prozent der Kosten bei der Steuer abschreiben.
Die Finanzierung ist allerdings noch ungeklärt. Geywitz sieht die Vorschläge als Teil des geplanten „Wachstumschancengesetzes“ von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Verabschiedung im Bundeskabinett hat sich aber wegen einer Blockade in der Ampelkoalition verschoben.
Außerden will Geywitz das technische Regelwerke entschlacken, wie sie der „Leipziger Volkszeitung“ sagte. „Wir müssen wieder einfacher bauen in Deutschland und den Kostenanstieg dämpfen.“ Auch setzt sie auf Vorfertigung am Bau. „Serieller Wohnungsbau ist eine Möglichkeit, schnell Wohnungen zu errichten.“
Branche appelliert an Politik
Die Bauwirtschaft hält massive Förderprogramme und Steuererleichterungen für unerlässlich, um die Krise in den Griff zu bekommen. „Die Luft wird immer dünner“, sagte Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). „Anscheinend ist die Brisanz dieser Abwärtsspirale noch nicht bei allen angekommen.
„Mit Blick auf die Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Ende August und den Wohnungsgipfel Ende September hieß es beim ZIA: „Die nächsten Wochen bringen den Showdown – es braucht zwingend einen Neustart der Wohnungsbaupolitik.“ Das Kabinett müsse sich in Meseberg entscheiden: „Soll die Bauwirtschaft die Konjunktur wieder in die Spur bringen oder mit ihren Betrieben und Arbeitsplätzen aufs Abstellgleis?“
„Es braucht zwingend einen Neustart der Wohnungsbaupolitik“, fordert auch Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, angesichts der bevorstehenden Kabinettsklausur. Auch er forderte unter anderem ein großvolumiges Kreditprogramm der Förderbank KfW mit günstigen Zinsen sowie ein Aussetzen der Grunderwerbsteuer.
„Noch nicht die ganze Wahrheit“
„So schlecht die Zahlen sind, sie zeigen noch immer nicht die ganze Wahrheit, die auf uns zukommt“, warnte Präsident Andreas Mattner vom Lobbyverband Zentraler Immobilienausschuss (ZIA). Projektentwickler beendeten oft ihre Vorarbeit mit einer Baugenehmigung. Gebaut werde dann aber nur, wenn es kein Minusgeschäft sei. Doch das drohe aktuell häufig: „Leider führen die Summe aller Faktoren und insbesondere die explosionsartig gestiegenen Kreditkosten zum Ruhen dieser Projekte.
„Ohne verlässliche Investitionsimpulse müssten die Wohnungsbaufirmen früher oder später Stellen streichen, warnte ZDB-Experte Pakleppa. „Was das für den Wohnungsmarkt und die vielen anderen Mega-Bauaufgaben der Zukunft bedeutet, will sich keiner ausmalen.“
Quelle: tagesschau