Erstmals seit mehr als zehn Jahren werden laut einer Studie die Kaufpreise für Immobilien sinken. Experten erwarten Rückgänge von über zehn Prozent. Die Krise wird sich aber nicht überall gleichermaßen bemerkbar machen – und ein Effekt könnte den Preisrückgang noch abschwächen.
Der Crash am Immobilienmarkt – oft wurde er schon heraufbeschworen. Und immer wieder ist er ausgeblieben. Vor drei Jahren, als die Wanderungsbewegung in die Ballungszentren nachzulassen begann, erwarteten die ersten Analysten sinkende Preise. Doch nichts passierte. Vor zwei Jahren, als Mieten und Kaufpreise immer weiter auseinandergingen, rechneten Experten fest mit einem Preisstopp. Nichts dergleichen geschah.
Nun jedoch stehen Baustellen still, Finanzierer ziehen sich zurück, die Bürger sind nicht mehr mobil. Die Corona-Krise könnte das auslösen, was man kaum noch für möglich gehalten hat: zum ersten Mal seit gut zehn Jahren sinkende Preise für Häuser und Wohnungen.
Bis zum Jahresende könnten sich Wohnimmobilien um bis zu zwölf Prozent verbilligen, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), die WELT vorliegt. „Ausgehend von möglichen Insolvenzen und vermehrter Arbeitslosigkeit dürften die zukünftigen Mietpreiserwartungen vermindert werden, weil den Haushalten insgesamt weniger Einkommen zur Verfügung steht.“ Dies könne sich tendenziell negativ auf die Wohnungspreise auswirken, so ein Fazit der Studie im Auftrag der Deutsche Reihenhaus AG.
Im Süden fallen die Preise stärker
Der jahrelange Immobilien-Preisanstieg in Deutschland war von zwei Faktoren geprägt: Zuwanderung und steigende Nachfrage in einigen Regionen einerseits. Und großes Anlegerinteresse am stabilen deutschen Immobilienmarkt andererseits. Beide Erscheinungen bleiben dem Markt zwar erhalten oder gewinnen im Zuge der Krise sogar an Bedeutung. Doch nun kommt ein kräftiger Wirtschaftseinbruch hinzu. Das hat direkte Folgen auf die Mietpreiserwartungen, die zur Schwachstelle für die Hauspreise werden.
Die Krise wird sich nicht überall gleichermaßen bemerkbar machen, betont Michael Voigtländer, Immobilienexperte des IW: „Es gibt einzelne Marktsegmente, die stärker von einem kurzfristigen Nachfragerückgang betroffen sein dürften – beispielsweise Mikroapartments, wo schlicht die mobilen Fachkräfte als Mieter wegfallen, oder etwa Wohnungen im Luxussegment“, sagt der Ökonom.
Außerdem sei der Markt dort stärker betroffen, wo die Preise in jüngerer Vergangenheit besonders stark gestiegen seien. „In Süddeutschland etwa könnte ein Preisrückgang stärker ausfallen, weil die Mieten im Verhältnis zu den Löhnen bereits vor der Krise relativ hoch waren. In München sind auch die Renditen bereits sehr niedrig“, sagt Voigtländer in Bezug auf die sehr hohen Kaufpreise und die entsprechend niedrigen Margen aus Vermietersicht in der bayerischen Landeshauptstadt.
„An einigen Standorten kommt noch der Strukturwandel in der Autoindustrie hinzu, sodass Mietsteigerungserwartungen und damit Preise stärker zurückgehen könnten.“ Nicht nur vermietete, auch selbst genutzte Wohnungen wären von einem allgemeinen Preisrückgang betroffen, wenn auch nicht so stark, weil die Abhängigkeit von Mieten und Wirtschaftslage nicht so hoch ist.
Eine Preisblase gibt es nicht
Das IW nutzt in seiner Analyse ein finanzmathematisches Modell, um die Folgen der Corona-Krise für die Hauspreise abzuschätzen. Ein wichtiger Faktor dabei ist der Abstand zwischen der Bruttoanfangsrendite einer vermieteten Wohnung, also dem Gewinn vor Kostenabzug, und dem allgemeinen Zinsniveau für Baugeld. Hier sehen die IW-Experten sogar noch Luft nach oben, weil die Zinsen stärker gesunken sind als die Renditen, sagt Voigtländer: „Der große Abstand zwischen Zinsen und Renditen ist ein Zeichen dafür, dass der Markt nicht überbewertet ist.“
Die Zinsen könnten sogar noch weiter fallen und damit die Finanzierung weiter vergünstigen – was wiederum die Preise stützen würde: „Wir halten es durchaus für möglich, dass die Hypothekenzinsen noch einmal zurückgehen. Die Europäische Zentralbank interveniert zurzeit massiv, und ein Rückgang um 50 Basispunkte ist immer wieder einmal möglich, wie schon die vergangenen Monate gezeigt haben.“
Würden die Zinsen noch einmal um 0,7 Prozentpunkte sinken, so ein IW-Szenario, läge der Preisrückgang etwa in Hamburg bei höchstens zwei Prozent. Gingen die Zinsen für Hypothekenkredite dagegen nur um 0,3 Punkte zurück, könnten die Preise in der Hansestadt um bis zu 14 Prozent sinken. Ähnliche Größenordnungen berechneten die Ökonomen für die anderen größeren Metropolen. Sie betonen jedoch: „Insgesamt aber gehen wir davon aus, dass der Wohnungsmarkt glimpflich durch die Krise kommen dürfte.“
So sehen es auch andere Marktbeobachter. „Wohnen steht relativ zu Gewerbeimmobilien günstiger da, weil die Nutzung nicht substituiert werden kann“, sagt etwa Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. Das Datenanalyseunternehmen Sprengnetter wertet seit Beginn der Krise wöchentlich Zehntausende Wohnungsangebote, zur Miete und zum Kauf, aus. Und stellt fest: „Die Wohnimmobilienpreise in Deutschland sind nach wie vor auf einem stabilen Niveau.“
Der Markt macht nur Pause
Sprengnetter-Vorstand Christian Sauerborn sagt: „Wir werden in den nächsten zwölf Monaten vermutlich Regionen mit Stagnation oder leichten Preisrückgängen sehen. Wir gehen aber nicht vom Platzen einer nicht vorhandenen Blase und damit auch nicht von starken Preisabfällen aus.“
Hoffnung macht eine Statistik, die das IW ebenfalls beobachtet: die Online-Suchanfragen von Miet- und Kaufinteressenten bei Google. Hier gab es zuletzt einen deutlichen Rückgang. Doch seit zwei Wochen suchen Käufer wieder vermehrt nach Angeboten.
In nächster Zeit könnte sich zudem ein Effekt aus der Zeit der Finanzkrise von 2008 wiederholen. Sollten Spanien und Italien wirtschaftlich stärker zurückfallen, könnte die Zuwanderung von dort in die deutschen Ballungszentren zunehmen. Mit Folgen für die Preise: Der Immobilienboom hätte dann nur eine Pause gemacht.
Quelle: Welt