Vor gut einem Jahr prophezeite der Analyst Christof Schürmann eine „Eiszeit“ am Immobilienmarkt – und genau die ist gekommen. FOCUS online sprach mit Schürmann nun darüber, wie lange diese Eiszeit anhalten kann, was die Politik angehen muss und ob sich Betongold aktuell als Investment überhaupt lohnt.
FOCUS online: Im März 2023 haben Sie ihre Analyse betitelt mit „Eiszeit am Immobilienmarkt“. Jetzt ist ungefähr ein Jahr vergangen und nun wäre die Frage: Wie fällt Ihr Urteil aktuell aus?
Christof Schürmann: In der Rückschau betrachtet war der Titel nicht schlecht gewählt. Wir haben ja diese Eiszeit im Laufe des Jahres gesehen, stark rückläufige Umsätze bei den Wohnimmobilientransaktionen, rückläufige Preise, und, auch wenn es noch keine exakte Zahl gibt, haben wir gesehen, dass die Neubautätigkeit zurückgeht. Es dürften so um die 270.000 Wohnungen gewesen sein, also weit entfernt vom Ziel der Bundesregierung, die ja 400.000 pro Jahr anstrebt. Insofern ist diese Eiszeit wirklich gekommen, und sie hält bis jetzt an.
Welche Faktoren, die auf Preise und Neubau auswirken, haben sich seitdem substanziell verändert oder sind neu hinzugekommen?
Schürmann: Was man als gewisse Entlastung sehen kann – aber nur im Zeitablauf! – ist das Heizungsgesetz. Zum damaligen Zeitpunkt war das noch ein Entwurf. Jetzt ist das Gesetz durch, aber im Laufe der Monate abgeschwächt worden. Das gibt eine gewisse Sicherheit. Und die EU-Gebäuderichtlinie geht jetzt auf einen Quartiersansatz statt auf einzelne Gebäude, was eine deutliche Abschwächung bedeutet.
Was müsste passieren, damit der Traum eines bezahlbaren Eigenheims wieder aufleben kann?
Schürmann: Das ist schwierig. Neubauten, die 2023 fertiggestellt wurden, ob privat oder bei Wohnungsbaukonzernen, waren ja bereits spätestens 2022 oder mehrere Jahre vorher geplant und genehmigt. Das dauert, bis die fertig sind. Wie es in diesem Jahr aussieht, müssen wir erst einmal sehen. Aber angesichts stark rückläufiger Baugenehmigungen dürfte der Neubau weiter einbrechen.
Wenn es nun darum geht, den Kauf eines privaten Eigenheims oder einer Wohnung, oder eben den Neubau, wieder erschwinglicher zu machen, muss vieles zusammenkommen. Es gibt Hoffnungsschimmer. Wir sehen, dass die Löhne und Gehälter wieder steigen, vielleicht nicht so stark wie die Inflation, aber nominal sind die Einkommen höher. Das ist schon einmal ein Punkt.
Zudem sehen wir auch, wie die Bauzinsen zurückgehen. Wenn es da um einen Prozentpunkt geht, macht das bei einem Kredit von 200.000 Euro einen Unterschied von 2000 Euro aus im ersten Jahr der Tilgung. Und es gibt eben auch einen Rückgang der Preise im Bestand. Für Bau- und Kaufinteressierte sind das grundsätzlich drei positive Aspekte.
Das klingt, als käme ein „Aber“.
Schürmann: Bei den Neubauten sind die Preise eben nicht rückläufig, sondern weiter gestiegen. Wenn ich neu bauen will, bin ich mit deutlich höheren Preisen konfrontiert als vor zwei oder drei Jahren, zusätzlich zu den deutlich höheren Zinsen. Von daher gesehen ist der Neubau nur für einen immer kleineren Bevölkerungskreis eine Option.
Was könnte dagegen helfen?
Schürmann: Man könnte die Standards herunterfahren. KfW 55, was nun im Neubau de facto aufgrund der Förderprogramme gefordert ist, ist in der Regel einiges teurer als KfW 70. Die energetischen Anforderungen müssten zurückgeschraubt werden. So sollte man sich fragen, ob die Einführung von KfW 40, die 2025 anstehen soll, wirklich umgesetzt werden sollte, und ob KfW 70 nicht insgesamt reicht. Auf Bundes-, vor allem aber auf Landes- und kommunaler Ebene sollte man außerdem daran arbeiten, die Bauvorschriften zu reduzieren und anzugleichen. Weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungen. Und was die Kosten angeht, ist immer zuerst die Grunderwerbsteuer zu nennen, die sich beim steigenden Preisniveau des Neubaus ja auch immer noch zusätzlich verteuert.
Sie sehen, da muss einiges zusammenkommen. Wenn es nun aber gewünscht ist, die energetischen Standards zu halten, dann würde der Neubau nur billiger werden, wenn Grundstücks- und Baupreise rückläufig wären. Dass wir das aktuellen Niveau hier in den nächsten Jahren aber nicht wenigstens halten, sehe ich einfach nicht.
Und Fördermaßnahmen? Die KfW hat die Fördertöpfe jüngst wieder gefüllt.
Schürmann: Natürlich wird versucht, den Neubau mit diesen Programmen anzukurbeln. Aber wir reden hier von 100, 200, vielleicht 300 Euro im Monat, die Hausbauer einsparen, weil der Zins der Förderung unter dem Marktzins liegt. Angesichts des Preisniveaus beim Neubau hilft das aber auch nur wenig. Das macht das freistehende Einfamilienhaus, was sich jemand vor dem Förderprogramm nicht leisten konnte, auch nicht möglich.
Das klingt so, als ob dieser Traum damit noch in weiter Ferne bleibt. Wenn die Regierung die Standards nicht senkt, also nichts unternimmt, wie lange kann diese Eiszeit am Immobilienmarkt noch anhalten?
Schürmann: Wenn wir nur den Neubau ansehen, wird es sogar noch schlimmer werden. Dieses Jahr werden sicher weniger Wohnungen gebaut werden als voriges Jahr, und für 2025 sieht es noch schlechter aus. Das sieht man an den Baugenehmigungen. Betrachten wir nur den Neubau, dann kommt der kälteste Punkt dieser Eiszeit ganz sicher noch. Da müssten schon die Baugenehmigungen sprunghaft nach oben gehen, damit 2025 eine Trendwende kommt. Das ist einfach nicht abzusehen.
Und selbst wenn der Abbau von Bürokratie und energetischen Standards kommt, dauert es sicher zwei Jahre, bis der Neubau wieder attraktiver wird. Das Gutachten der Immobilienweisen wies gerade erst darauf hin, dass sich der Neubau aus Sicht von Investoren nur bei einer Kaltmiete von 21 Euro je Quadratmeter lohnt. Wer kann das bezahlen? Das sind vielleicht die oberen fünf bis zehn Prozent der Einkommensempfänger, also diejenigen, die sich den Neubau auch als Kaufobjekt selbst gerade noch leisten könnten.
Wenn die Politik also nichts macht, wird es in den kommenden Jahren sehr schwierig bleiben, die fehlenden Wohnungen zu bauen. Sicher, die Mieten steigen noch, und irgendwann kommen wir vielleicht an einen Punkt, an dem Investoren flächendeckend an Kaltmieten von 21 Euro kommen und wenn die Zinsen tief genug sein sollten – dann lohnt sich der Neubau wieder. Aber momentan sieht es so aus, als stünde uns das Schlimmste dieser Eiszeit am Neubau noch bevor.
KfW-Fördertöpfe sind das eine. Aber manche Konzerne in der Wohnungsbranche forderten schon 2023 große staatliche Programme, in Milliardenhöhe. Könnte das helfen, die Bautätigkeit wieder anzukurbeln?
Schürmann: Wenn man den Neubau ankurbeln will, dann wäre der Bürokratieabbau wie erwähnt das richtige Mittel. Es geht beim Bau vor allem um Planungssicherheit, sowohl bei den Investoren als auch beim privaten Kauf. Das ist ja eine Lebensentscheidung und da ist diese Sicherheit enorm wichtig. Bund und Länder sollten lieber hier ansetzen und auch daran arbeiten, die Bauvorschriften anzugleichen.
Auf der anderen Seite, wenn man Investitionen anfachen möchte, ginge das in erster Linie mit einer attraktiveren Abschreibung, sodass Investoren eben nicht mehr Kaltmieten von 20 oder 21 Euro je Quadratmeter brauchen, sondern bei vielleicht 15 oder 16 Euro landen und wieder an breitere Bevölkerungsschichten vermieten können. Dafür muss die Regierung kein Geld in die Hand nehmen, hat aber eben niedrigere Steuereinnahmen, die anderswo ausgeglichen werden müssten.
Darüber hinaus muss man eben überlegen, ob der ältere Standard KfW 70 im Neubau nicht doch reicht. Sicher, bis 2050 will die EU emissionsfrei sein, aber der Unterschied zwischen KfW 70 und KfW 40 ist wirklich nicht mehr groß. Nur: Die letzte Dämmschicht ist eben immer die teuerste.
Sie sprachen auch die Grunderwerbsteuer als Hebel an. Die ist aber Ländersache, und die verzichten nur ungern über diese Einnahmen.
Schürmann: Ja. Hier müsste der Bund einen Ausgleich leisten, was bei der momentanen Haushaltslage schlecht geht. Natürlich ist das mit der niedrigeren Grunderwerbsteuer auch ein wenig Wunschdenken. Wenn man aber das Thema auch sozialpolitisch betrachtet und der Wunsch da ist, den Bürgern zum Eigenheim zu verhelfen, muss der Staat mal darüber nachdenken, wie es denn weitergehen soll.
Denn: Die Bestandsmieten gehen bei der geringen Bautätigkeit verständlicherweise nach deutlich oben. Das war in den Jahren davor nicht der Fall, die Mietsteigerungen lagen oft nicht höher als die allgemeine Inflation. Die Mietpreisspiegel deckeln zwar die Mieten theoretisch, aber wir sehen hier ja auch eine Ausweichbewegung auf möblierte Wohnungen. Und dann kommen wir in Bereiche von Warmmieten von 30 Euro je Quadratmeter, und sehen, wie immer mehr Leute aus den Städten verdrängt werden, weil die Preise einfach überzogen sind.
Das heißt auf keinen Fall, dass wir einen Mietpreisdeckel wie in Berlin brauchen, aber solche Entwicklungen wie beim möblierten Wohnen, da könnte der Staat gegensteuern.
Während der Wohnungsmarkt hart umkämpft ist, schwappt die Krise der Gewerbeimmobilien in den USA nun auch nach Europa. Hat das einen Effekt auf den Wohnungsmarkt?
Schürmann: Tatsächlich gibt es hier einen positiven Effekt. Wenn der Gewerbeimmobilienmarkt in Schwierigkeiten steckt und keine Gelder mehr in diesen Bereich fließen, bleiben immer noch die Wohnimmobilien. Wenn wir da den deutschen Markt nehmen, dann ist der relativ stabil und von der Finanzierungsseite gut abgesichert, solange es nicht doch zu überbordenden Sanierungspflichten kommt, die die Gebäudewerte drastisch drücken würden.
Wohnimmobilien könnten also relativ gewinnen, wenn es eine Krise bei Gewerbeimmobilien gibt. Sollten die Zinsen jetzt nicht noch enorm ansteigen, dürften die meisten Menschen durchhalten und ihren Kredit bedienen. Die Mietnachfrage ist zudem hoch und wird hoch bleiben. Eine Wohnimmobilie bekommen Investoren eher voll vermietet als Büros oder Ladenzeilen, da ist das Geschäft viel unsicherer, und entsprechend müssen die Renditen höher sein. Insofern: Wenn, dann sollten wir hier einen positiven Effekt sehen, zumindest aber keinen negativen.
Wenn die Mietnachfrage hoch bleibt, warum bauen denn große Konzerne wie Vonovia denn nicht mehr? Nach gängiger Theorie müsste der Markt auf diese Nachfrage doch antworten. Oder sehen wir hier gar ein „Marktversagen“?
Schürmann: Der Mietmarkt ist ja kein freier Markt im klassischen Sinn, sondern stark reguliert, was die Mieten angeht. Beim Neubau sind die Konzerne da etwas freier. Konzerne wie Vonovia und LEG Immobilien, die stark in den Großstädten vertreten sind, haben eine gute Datenbasis und wissen auch, was Mieter überhaupt bezahlen können.
Nur weil jemand in München, Düsseldorf oder Hamburg lebt, kann derjenige ja nicht 20 Euro Kaltmiete im Neubau bezahlen. Eine Einzelverdiener-Familie mit zwei Kindern, die vielleicht 100 Quadratmeter braucht, kommt dann schnell auf Warmmieten von 2500 Euro – so was können sich nur Top-Verdiener leisten.
Und die Nachfrage nach solchen Wohnungen ist einfach zu gering, als dass sich der Neubau für diese Konzerne lohnt. Vonovia und LEG sind ja auch keine Sozialwohnungsunternehmen, die wollen ja auch noch ein bisschen Rendite haben und diese an die Aktionäre ausschütten. Das Versagen liegt eher in der Vergangenheit, als Länder und Kommunen damals die Wohnbestände zu Schleuderpreisen verkauft haben. Das, was früher im sozialen Bereich als Alternative zur Verfügung stand, ist damit einfach weg.
Politische Verfehlungen haben uns demnach in diese Krise geführt?
Schürmann: Es ist immer leicht, der Politik den schwarzen Peter zuzuschieben, in diesem Fall ist aber schlicht sehr, sehr viel schiefgelaufen, über eine lange Zeit, und mit dem Heizungsgesetz und der EU-Gebäuderichtlinie hat man die Marktteilnehmer nur noch weiter verunsichert. Und jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen.
Das kann nur dann besser werden, wenn es endlich ein Konzept mit Konsistenz gibt, welches Planungssicherheit schafft, nicht nur mal hier ein bisschen Förderung, da ein bisschen Baukindergeld, sondern eben die genannten Ansätze: Bürokratieabbau, weniger Vorschriften, und bessere Abschreibungsmöglichkeiten.
Zum Abschluss: Momentan raten einige Experten dazu, die etwas niedrigeren Zinsen und Preise zu nutzen, um zumindest bei Bestandsimmobilien zuzuschlagen. Das Argument dabei: Die Preise könnten bald wieder steigen.
Schürmann: Wohnimmobilien sind auch im vierten Quartal zum dritten Quartal 2023 weiter im Preis gesunken. Das haben die Daten des Pfandbriefbanken-Verbandes vdp gezeigt. Der Rückgang verschärft sich zwar nicht, ist aber immer noch da. Eine echte Bodenbildung ist noch nicht zu sehen. Auch jüngere Daten von Hypoport zeigen beim Bestand weitere Preisrückgänge zum Vormonat, und zum Vorjahr sowieso.
Irgendwann mag es eine Talsohle geben, aber noch sehen wir keine Trendwende, noch nicht einmal eine Tendenz zur Trendwende, dazu braucht es mehrere Quartale, zwischen denen es jeweils wieder Preissteigerungen gibt.
Also gibt es momentan doch kein „einmaliges Zeitfenster“, um doch noch zu kaufen?
Schürmann: Wenn wir es aus der Sicht eines privaten Investors betrachten, ist es so: Vor Steuern bekomme ich mit Bestandsobjekten in den Groß- und anderen attraktiven Städten vielleicht drei Prozent Rendite. Bei langlaufenden Unternehmensanleihen erziele ich aber problemlos vier Prozent, bei Aktien sollte die Renditen über einen langen Zeitraum noch darüber liegen, und ich habe außerdem kein Klumpenrisiko, wenn ich streue, kein Rechtsrisiko, keine Sanierungspflicht, und kann im Zweifel schnell verkaufen.
Dementsprechend bräuchte man bei Immobilien eine höhere Zitterprämie bei all der Unsicherheit und dem langen Investitionszeitraum. Man müsste vor Steuern eine Rendite von wenigstens sechs Prozent erzielen, aber das ist momentan einfach nicht zu finden, wenn man auf einzelne Wohnungen zielt. Vielleicht auf dem Land, aber da gibt es dann wieder das demografische Risiko. Im Moment muss man ganz klar sagen: Zins, Preisniveau und Einkommen passen nicht zusammen. Der Immobilienmarkt ist heute nach allen Parametern gesehen einfach noch zu teuer. Das sagte jüngst auch die Bundesbank, und dem stimme ich voll zu.
Von daher kann momentan zu Immobilien – als Investment – nicht geraten werden. Vielleicht, wenn man ein wirkliches Einhorn unter den Bestandsobjekten findet. Aber im Moment, en gros, im Durchschnitt, kann man einfach nicht dazu raten, hier einzusteigen.
Quelle: FOCUS Online