Die Corona-Pandemie präge die Menschen so stark wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren, sagt Sam Zell. Der legendäre Deal-Maker aus Chicago hat mit Immobilien ein Milliardenvermögen geschaffen. Heute zweifelt er an der Zukunft von Sharing-Economy-Firmen wie Wework. An eine rasche Erholung glaubt er nicht. Ein Gespräch.
«Die Pandemie ist mehr als nur ein kurzer, starker Rückschlag, und die Wirtschaft braucht Zeit, um sich davon zu erholen», sagt Sam Zell. Der 78-jährige Immobilien-Tycoon aus Chicago glaubt nicht so richtig an den Kursaufschwung der Börsen. Seine Meinung hat Gewicht. Immerhin hat der Sohn jüdischer Nazi-Flüchtlinge aus Polen in den vergangenen Jahrzehnten mit geschickten Immobilien- und Private-Equity-Transaktionen in verschiedenen Branchen aus dem Nichts ein Vermögen von rund 5 Mrd. $ geschaffen, das in der privaten Holding Equity Group Investments gebündelt ist.
Mit der Gesellschaft hat er alle konjunkturellen Höhen und Tiefen erlebt, und er ist bestens vernetzt. Beim letzten Gespräch vor ziemlich genau zehn Jahren war Zell optimistisch für die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und lag damit goldrichtig.
Mega-Deal – genau zur richtigen Zeit
Schon während des Jurastudiums verwaltete er Tausende zum Teil eigene Studentenunterkünfte. Später nannte man ihn den «Grabräuber», weil er sich als Immobilienprofi in Krisenzeiten einen Namen damit gemacht hatte, werthaltige Immobilien und Unternehmensteile zu günstigen Konditionen zu übernehmen, zu sanieren oder im schlimmsten Fall abzuwickeln. «Das Wichtigste ist, das Verlustrisiko im Griff zu behalten, wenn du solche Transaktionen machst», sagt er im Gespräch.
Rückschläge gehören zum riskanten Geschäft. So musste Zell das Verlagshaus Tribune Company kurz nach der Übernahme im Jahr 2007 in Einzelteile zerlegen, weil die Werbeeinnahmen der «Chicago Tribune», der «Los Angeles Times» und anderer Titel schneller wegbrachen, als er erwartet hatte.
Immerhin konnte er den Verlust leicht verschmerzen. Schliesslich hatte er kurz zuvor 573 Büroimmobilien für 39 Mrd. $ an Blackstone verkauft – damals die grösste fremdfinanzierte Transaktion dieser Art aller Zeiten. Marktbeobachter rühmen seitdem seine gute Nase, weil er die nahende Subprime-Hypothekenkrise gerochen habe. «In Wirklichkeit hat Blackstone einfach einen so guten Preis geboten, dass mir gar keine andere Wahl blieb, als zu verkaufen», erklärt Zell heute offen.
Blackstone hat einfach einen so guten Preis geboten, dass mir gar keine andere Wahl blieb, als zu verkaufen
Er selbst bezeichnet sich als «Deal-Maker» – also eher als jemanden, der auf Basis von Angebot und Nachfrage geschäftliche Chancen erkennt. Das liege ihm mehr, als makroökonomische Trends auszumachen. Oft schwimmt er gegen den Strom: «Wenn andere nach links schauen, blicke ich nach rechts», beschreibt er sich selbst. So warnt er heute davor, in «trendige» Logistik-Immobilien zu investieren. Stattdessen schlägt er bei einzelnen Anleihen angeschlagener Energiefirmen zu – und er kauft gezielt Bohrgelände auf, weil er eben Immobilien im Blut hat.
Der Neubeginn wird teuer
Zell wundert sich über jüngsten Optimismus. «Alle reden darüber, was die Pandemie alles verändert. Dagegen gibt es kaum Diskussionen darüber, wie teuer ein Neubeginn ist und was es zum Beispiel braucht, um ein geschlossenes Restaurant mit 200 Sitzplätzen wieder zu eröffnen.» Können die Betreiber ihre Kundschaft halten und bei geringer Auslastung überhaupt Geld verdienen? «In den USA haben in der Pandemie viele Einzelhändler geschlossen. Nur Naive glaubten, dass alle wieder öffnen könnten. Wenn 75% der Gaststätten überleben, wäre das ein Wunder», denkt er und fragt sich, woher das Geld dafür kommen sollte.
Viele Arbeitslose hoffen, ihre Jobs wieder zurückzubekommen. Das wird aber nicht über Nacht passieren
Sam Zell weiss, wovon er redet. Denn die Erdgeschosse der eigenen Wohntürme in zentralen Lagen mit rund 100 000 Einheiten sind an kleine Restaurants, Reinigungen, Nagelstudios, Vinotheken oder ähnliche Geschäfte vermietet. «60% von ihnen können derzeit ihre Miete nicht begleichen, weil sie entweder keine Einnahmen oder nur schmale Margen haben.»
Nach zwei umsatzlosen Monaten stünden Unternehmer und Geschäftsinhaber auf der Kostenbremse – und das verheisse im Hinblick auf die Tatsache, dass die Arbeitslosenquote in den USA von 3 auf etwa 20% gestiegen sei, nichts Gutes. «Viele Arbeitslose hoffen, ihre Jobs wieder zurückzubekommen. Das wird aber nicht über Nacht passieren.» Tatsächlich zweifelt er an einer V-förmigen Erholung der Wirtschaft. Das Vertrauen kehre nur langsam zurück.
Wird das Reisen teurer?
Besonders düster sieht es seiner Ansicht nach für den Einzelhandel aus. «Der Immobilienmarkt in diesem Bereich glich schon vor der Pandemie einem fallenden Messer. Die Corona-Krise dürfte den Fall beschleunigen», argumentiert Zell und ist offensichtlich froh, die grösseren Gewerbeimmobilien schon vor längerer Zeit abgestossen zu haben. Ähnliches gilt wohl auch für die Beherbergungsbranche. «Sie mag sich mit der Zeit von den massiven Beeinträchtigungen aufgrund der Pandemie erholen, aber vielleicht werden wir künftig nicht mehr so viel reisen wie in der Vergangenheit.» Sollte der mittlere Sitz eines Flugzeugs nicht mehr belegt werden, würden die Tickets teurer.
Muss der Immobilienbereich neu bewertet werden? «Was Büro-Immobilien anbelangt, ist es so ähnlich wie im Einzelhandel. Dort lag der Anteil des Online-Geschäfts zuletzt bei 13%, und er wird wahrscheinlich auf 30% klettern. Denn in Zeiten der Pandemie haben viele Konsumenten zum ersten Mal online eingekauft. Das belastet das Geschäft mit Einzelhandels-Immobilien», erklärt der Tycoon. Bei Bürogebäuden ist er trotz der Verbreitung von Home-Office nicht ganz so skeptisch. «Diese Art zu arbeiten setzt voraus, dass die Mitarbeiter zu Hause bereits in die Firmenkultur integriert sind und dass ihr Beitrag zum Gesamterfolg klar wird.»
Beim Konzept gemeinsam genutzter Büroräume dreht sich alles um die Dichte – und ich kann mir heute nichts Unbeliebteres vorstellen
Auf der anderen Seite zweifelt er an der Zukunft von Unternehmen wie Wework. «Beim Konzept gemeinsam genutzter Büroräume dreht sich alles um die Dichte – und ich kann mir heute nichts Unbeliebteres vorstellen als dieses Wort. Journalisten mögen in der Vergangenheit begeisterte Artikel über die Sharing-Economy, über Wework, Welive und ‹We-Bullshit› verfasst haben. Die Realität aber ist – das ist nicht die Realität.» Das klingt so, als ob Sam Zell auf Immobilien-Schnäppchen in New York, San Francisco und London spekulierte, wo Wework bisher der grösste Mieter von Büroimmobilien war.
Bei Wohnimmobilien dagegen will er nichts vom «Dichteproblem» wissen. Stattdessen redet er dem eigenen Portfolio das Wort: «Ja, sicher. In einer perfekten Welt würden wir alle irgendwo draussen auf dem Land wohnen, mit einer Meile Abstand zwischen jedem Haus und dem nächsten. Das ist aber nicht realistisch. Die Bevölkerung der Welt strebt in die Städte, und ich sehe nichts, was etwas daran ändern würde.»
Die Urbanisierung führe zu einer dichten Bebauung, sonst sei sie nicht möglich. «Wir können die Gebäude nicht verschieben, und wir dürfen sie auch nicht anders konzipieren, denn das können wir uns nicht leisten. Vielleicht werden im Fahrstuhl künftig nicht mehr als drei Personen sein, oder wir finden andere Möglichkeiten, weniger gedrängt zu leben. Alles, was darüber hinausgeht, ist unrealistisch.»
Keinen Zweifel an der Urbanisierung
An der Urbanisierung selbst zweifelt er nicht. «Die Städte sind entstanden, weil wir soziale Wesen sind, die ein Fitnessstudio besuchen wollen, die unterhalten werden und mit Menschen umgehen möchten. Ich glaube nicht, dass die Leute sich künftig hermetisch voneinander abschotten wollen.» Die Menschheit wolle nicht zurück auf ein Gehöft irgendwo in der Pampa, in Japan etwa wohne kaum noch jemand dort. Allerdings könne sich die städtische Infrastruktur ändern.
«Die Auswirkungen dieser Pandemie auf die öffentlichen Verkehrsmittel sind erschütternd. Die Leute werden zögern, sie zu nutzen, und die Kosten werden unglaublich hoch sein.» Offen sei, ob sie sich jemals wieder so eng in die Waggons pferchen liessen wie früher in Japan oder in Manhattan und ob Dienste wie Uber und Lyft so beliebt sein würden wie vor der Pandemie.
Die Schnäppchenjagd beginnt erst, wenn «die Banken ihre Kredite einfordern, statt Solidität vorzutäuschen und die Kontrakte einfach zu verlängern».
Als Investor will er in diesem Umfeld in erster Linie den Wert des Bestehenden erhalten und sicherstellen, dass alle aufkommenden Probleme gezielt gelöst werden. Er möchte keine Immobilien an B- oder C-Lagen haben, an denen die Bewohner nicht mehr zahlen können.
Der von ihm verwaltete Wohnimmobilien-Fonds Equity Residential besitzt in seinen Augen qualitativ hochwertige Gebäude mit soliden Mietern, die von solchen Ereignissen kaum betroffen werden. «Wir haben etwa 100 000 Wohnungen, und die Einnahmen sahen in diesem April und Mai ähnlich aus wie vor einem Jahr», sagt er im Gespräch. Kurz danach wurde bekannt, dass der Fonds vorerst auf Mieterhöhungen und auf die Vertreibung in Verzug geratener Mieter verzichtet.
Zell hat auch Behausungen für Leute mit einem kleineren Budget im Angebot. Die von ihm gegründete Equity Lifestyle Properties ist einer der grössten Eigentümer von Trailerparks in den USA, also Siedlungen aus «Wohnwagen» bzw. Fertighäusern. Das Geschäft scheint sogar zu boomen, denn die Aktie der börsenkotierten Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt.
«Glücklicherweise verfügt unsere Holding gerade über ziemlich viel Liquidität. Wir hätten also die Möglichkeit, gezielt zu investieren. Allerdings hat es bisher im Gegensatz zu Finanzmärkten im privaten Bereich praktisch keine grösseren Transaktionen gegeben. Der Markt ‹schlafwandelt›, nichts passiert, es gibt keine Preissensibilität und keinen Unternehmensgeist – es sei denn, jemand hat keine andere Wahl.»
Die Schnäppchenjagd wird in Sam Zells Augen erst richtig beginnen, wenn «die Banken ihre Kredite einfordern, statt Solidität vorzutäuschen und problematische Kontrakte einfach zu verlängern». Offensichtlich rechnet er auch mit inflationären Impulsen. «Ich hatte in meinem Leben mit verschiedenen Szenarien zu tun. Heute wissen viele nicht, was Inflation ist. Sieht man jedoch, wie viel Papiergeld Notenbanken und die Regierungen gerade schaffen, wird das Risiko real.»
Die Schnäppchen sind bis jetzt rar, aber es gibt sie
Im Zweifel fragt sich immer, was ein gutes Geschäft sei. «Heute bieten die Aktien von öffentlich gehandelten Immobilienunternehmen gewisse Chancen. Allerdings muss man aufpassen. Denn wenn der Kurs eines Papiers in den vergangenen Wochen deutlich gefallen ist, muss es noch lange kein Schnäppchen sein. Liegt der Marktwert jedoch unter den Baukosten, dann wird das interessant – und in verschiedenen Bereichen ist das der Fall.»
Für Sam Zell ist es keine Frage, dass zu viel Geld im System ist. Das gelte allerdings nicht überall. «Wenn Sie heute im Ölgeschäft tätig sind, haben Sie Schwierigkeiten, genügend Finanzmittel zu finden, um über die Runden zu kommen. Manche Bereiche sind vom billigen Geld abgeschnitten.» Dort setzt er seine liquiden Mittel gezielt ein.
«Ein Bürogebäude kann attraktiv sein, obwohl ich von der Vermögensklasse selbst keineswegs begeistert bin – und es geht dabei nicht nur um den Preis.» Auch bei Immobilien-Verbindlichkeiten wie Commercial Backed Securities gebe es in turbulenten Zeiten regelmässig wahre Schnäppchen, wenn die Eigentümer der Vermögenswerte dringend Liquidität benötigten.
Grundsätzlich «sehe ich im amerikanischen Immobilienmarkt keine Verrücktheiten wie damals in der Finanzkrise, als ein Farmarbeiter ein Haus für 700 000 $ finanzieren konnte. Der Markt wird allerdings von der Corona-Krise infiziert, und das Sinken der Nachfrage wird die Preise noch stärker unter Druck setzen, als aufgrund des Überangebots nach dem jüngsten Bauboom zu erwarten war.» Tatsächlich ist der US-Preisindex für gewerbliche Immobilien des kalifornischen Beratungsunternehmens Green Street Advisors in den vergangenen Wochen um fast 10% gefallen. Möglicherweise hat der Fuchs also wieder einmal den richtigen Riecher.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung