Die Immobilienwirtschaft blickt durchwachsen auf das neue Jahr. Immobilienkäufe bleiben dank Niedrigzinsen zwar attraktiv. Der große Aufschwung dürfte aber vorbei sein.
Erfurt Die Immobilienwirtschaft muss sich im kommenden Jahr auf geringere Zuwachsraten oder gar Stagnation einstellen. Dies ist der zentrale Befund des aktuellen IW-Immobilien-Indexes, der dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Bereits zum zweiten Mal in Folge liegen die Erwartungen der Branche im negativen Bereich. Zwar steigerte sich der Wert von minus neun im dritten Quartal auf minus sechs Punkte. Der Wert bleibt damit aber nahe seinem Tiefpunkt. „Damit erhärtet sich der Eindruck, dass die Boomphase ihr Ende erreicht hat“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienökonom vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Viermal jährlich befragt das IW 600 Entscheider der Immobilienwirtschaft. Die Ergebnisse der Befragungen zu Geschäftslage und -erwartungen werden per Saldenmethode zusammengeführt. Der Anteil der negativen Antworten wird vom Anteil der positiven Antworten abgezogen. Das Resultat wird in einer Skala von +100 bis -100 abgebildet.
Besonders pessimistisch blicken die Wohnungsbranche (-12,5 Punkte) und der Einzelhandel (-15,8 Punkte) in die Zukunft. Dabei überrascht, dass die Wohnungsbranche trotzdem mit steigenden Preisen und Mieten rechnet. Weil in vielen Städten der Zuzug anhalte, zugleich aber zu wenig gebaut werde, bleibe die Nachfrage groß, erklärt Voigtländer. Der Pessimismus der Wohnungswirtschaft sei vor allem auf die Regulierung zurückzuführen.
Zuletzt belasteten Maßnahmen wie der Berliner Mietendeckel den Ausblick. Zudem soll bundesweit die Mietpreisbremse verlängert werden. Die Bundesregierung will auch den Mietenspiegel reformieren, der die Grundlage der Mietpreisbremse stellt.
Belastend wirken zudem die hohen Preise, die heute schon am Markt fällig werden. „Viele Bestandshalter wollen weiter wachsen. Doch am Markt erreichen wir Preise, die für viele nicht kostendeckend zu realisieren sind“, sagt Voigtländer.
Laut Untersuchungen der Analysefirma F+B stagnierten die Mieten in Deutschland zuletzt. Das trifft auch auf einige Großstädte zu. So gab es etwa bei den Mieten in München im dritten Quartal gegenüber dem Vorquartal mit 0,3 Prozent kaum Veränderungen. In Köln (-0,6 Prozent) und Berlin (-1,4 Prozent) gingen die Mieten sogar leicht zurück.
Die niedrige Erwartungshaltung im Handelssegment spiegele die hohe Unsicherheit wider, die die Branche im Umbruch zwischen stationärem und Online-Geschäft umtreibt.
Am besten schneidet in der Erwartungshaltung noch die Bürobranche ab. Dank abnehmender Leerstände stiegen in den vergangenen Monaten Mieten und Kaufpreise. Der Immobiliendienstleister Savills glaubt jedoch, dass sich die Büromärkte der zuletzt schwächelnden Konjunktur nicht entziehen können. Die zusätzliche Flächennachfrage werde im kommenden Jahr geringer ausfallen als in den Vorjahren.
Einen insgesamt eher durchwachsenen bis schwachen Ausblick konstatierte bereits im November das BF Quartalsbarometer für Immobilienfinanzierungen, das auf seinen tiefsten Wert seit Beginn der Erhebung 2012 fiel. Manuel Köppel, CFO des Finanzierungsspezialisten BF.direkt, erklärt: „Der aktuelle Barometerwert verdeutlicht eher die Sorge vor der künftigen Marktentwicklung, nicht so sehr die aktuelle Situation auf dem Markt.“ Bislang zumindest seien die Erträge mit gewerblichen Immobilienfinanzierungen gut.
Klimaschutz kaum gefragt
Für das Jahr 2020 bahnt sich bereits die nächste Herausforderung für die Immobilienbranche an. Im Green Deal der EU-Kommission wird für Immobilien eine Renovierungswelle gefordert. Zudem werden mit der Taxonomie einheitliche Regeln für grüne Finanzanlage festgelegt. Das trifft auch auf den Gebäudesektor zu.
Die Immobilienbranche vernachlässigt das Thema aber bislang, zeigen die Ergebnisse der Zusatzfrage des IW-Immobilien-Index. Nur acht Prozent der Unternehmen gaben an, dass Energieeffizienz für sie ein sehr wichtiges Kriterium beim Immobilienkauf sei. Für 44 Prozent ist es zumindest eher wichtig, während 17 Prozent angaben, dass das Thema eher unwichtig oder völlig unwichtig ist.
Auch Projektentwickler berichteten, dass Energieeffizienz für Käufer nur eine untergeordnete Rolle spielt. Für 23 Prozent der Käufer ist das Thema eher unwichtig oder völlig unwichtig.
Den Immobilienökonom Voigtländer erstaunen diese Ergebnisse nach den zahlreichen Diskussionen um Klimaschutz in den vergangenen Monaten. „Offenbar gibt es eine Dissonanz zwischen dem was die Gesellschaft erwartet und der Zahlungsbereitschaft der Kunden“, sagt er. Zugleich appelliert er an die Branche, aktiver zu werden. Denn wenn sie nicht selbst voranschreite, drohen politische Reaktionen – und womöglich weitere Belastungen.
Quelle: Handelsblatt