Für ein eigenes Bauministerium auf Bundesebene gibt es viele Argumente – und prominente Fürsprecher.
Die IG Bau und der Hauptverband der deutschen Bauindustrie fordern es, wie auch der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA): Ein Bauministerium könnte auf Bundesebene (wieder) ein Kraftzentrum der Wohnungsbaupolitik in Stadt und Land werden – und richtig justiert – verkehrs- und klimapolitische Fragen bearbeiten. Offenbar hat sich auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür ausgesprochen. „Wenn ich Kanzler werde, wird es ein eigenständiges Bauministerium geben – das können wir hier aufnehmen und so festhalten“, soll Scholz am 10. Juli in einer Verhandlungspause des G20-Finanzministertreffens in Venedig im deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale gesagt haben. „Da war er schnell und klar“, sagt Architekt Arno Brandlhuber Mitkurator des deutschen Pavillons „2038“.
Die Kuratoren Brandlhuber, Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth waren nach einem offenen Wettbewerb vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für die Gestaltung des Pavillons ausgesucht worden. Die 17. Architekturbiennale lief noch bis zum Sonntag (21. November). „2038“ – unter diesem Titel will der deutsche Ausstellungsbeitrag einen Blick aus einer fiktiven Zukunft auf die Probleme der Gegenwart werfen und Lösungen anbieten, wie die Initiatoren mitteilten. Der Pavillon entstand in Zusammenarbeit mit „Rebiennale“, einer Initiative aus Venedig, die mit Hilfe von Abfallstoffen Anstöße zur Gestaltung von Städten geben will.
Bereits zum Start der Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und FDP hatten die Gewerkschaft IG BAU und die Bauindustrie im Oktober ein eigenständiges Bauministerium gefordert. Am Freitagabend sollte es nach Informationen der Immobilien-Zeitung die abschließenden Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene zum Thema Bauen und Wohnen geben. „Das Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit“, sagte IG-BAU-Chef Robert Feiger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das Thema habe „das politische Gewicht eines eigenen Bundesministeriums verdient“. Ein eigenes Ressort könne eine „echte Wohnwende“ auslösen.
In dem Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP ist die Rede von 400000 neuen Wohnungen, die künftig pro Jahr gebaut werden sollen; 100 000 davon öffentlich gefördert.
Das Bauressort lebt zur Zeit ein Nomadenleben im Innenministerium
Zu diesen Plänen sagte Feiger: „Das ist eine Rund-um-die-Uhr-Aufgabe.“ Diese erfordere „volle Kraft, volles politisches Engagement und volles Gewicht am Kabinettstisch“. Das „Nomadenleben beim Bauressort“ müsse ein Ende haben.
Die Politik müsse zudem in den kommenden Jahren Antworten darauf geben, wie Wohnen „insbesondere für Menschen mit niedrigem Einkommen bezahlbar bleibt“, sagte der Gewerkschaftschef weiter. Gefragt seien auch Sozialwohnungen, deren Zahl gehe zurück.
Der Chef des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie (HDB), Tim-Oliver Müller, sagte den Funke Zeitungen, Bauen müsse zur Chefsache werden. „Wir brauchen ein starkes Bundesministerium für Bau und Infrastruktur, um die gewaltigen Vorhaben zur Modernisierung unserer Infrastruktur umzusetzen.“ Bauen dürfe kein Annex mehr eines Ressorts sein, sondern müsse ins Zentrum des Handelns gerückt werden.
Unterstützung kam von der SPD-Linken. Die Ko-Vorsitzende des SPD-Forums Demokratische Linke 21, Ülker Radziwill, forderte für die kommende Legislaturperiode ebenfalls ein eigenes Bauministerium. „Bezahlbarer Wohnraum ist eine soziale Frage, die beantwortet werden muss“, sagte sie dem „Handelsblatt“. „Darum muss sich die neue Bundesregierung kümmern – am besten in einem eigenen Ministerium für Bauen und Wohnen.“
Ähnlich äußerte sich der Bundesverband GdW und bezog diese Position: „Wohnen und Bauen müssen Chefsache werden, damit die soziale Frage dieses Jahrzehnts koordiniert gelöst werden kann – am besten durch die Schaffung eines eigenständigen Ministeriums für gutes Wohnen mit Zuständigkeit für Stadt- und Landentwicklung, Raumordnung, Energieeffizienz, Klimaschutz, digitale Infrastruktur und Smart City.“
Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA forderte von der neuen Bundesregierung „mehr Maßnahmen, damit Bauvorhaben schneller umgesetzt werden – das geplante Bauland-Mobilisierungsgesetz bringt leider keine Beschleunigung, sondern eine weitere Verzögerung der Prozesse. Wir brauchen auch eine durchgehende Digitalisierung bei den Bauprüfungs- und Planungsämtern. Und Deutschland sollte innovativer denken und dem modularen und seriellen Bauen mehr Vorfahrt geben. Vor allem aber wünschen wir uns, dass die nächste Bundesregierung ein neues schlagkräftiges, eigenständiges Bauministerium aufbaut. Das sollte dann auch Bereiche der Infrastruktur zum Beispiel aus dem Verkehrsministerium umfassen. Es darf kein Anhängsel mehr sein, sondern ein Ministerium, dass tatsächlich moderne Lösungsansätze für den Bau durchsetzen kann und bestehende Regularien entrümpelt.“
Von 1949 bis 1998 gab es ein Bundesbauministerium
Ein Bundesbauministerium als Oberste Bundesbehörde der Bundesrepublik Deutschland gab es von 1949 bis 1998. Allerdings änderte sich mehrfach der Name. Bundesministerium für Wiederaufbau hieß es zunächst, ab 1950 lautete die Bezeichnung bis 1961 Bundesministerium für Wohnungsbau, anschließend bis 1965 Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, dann Bundesministerium für Wohnungswesen und Städtebau (bzw. 1969–72 mit umgekehrter Reihung der beiden Begriffe), bis es schließlich 1972 den Namen Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau trug.
Dieses Ministerium wurde dann 1998 mit dem Bundesverkehrsministerium zum Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen fusioniert. Von 2013 bis 2018 war der Baubereich dem Bundesumweltministerium unter Barbara Hendricks (SPD) angegliedert, seit 2018 gehört er zum Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unter Horst Seehofer (CSU).
Warum sind Wohngebäude steuerlich schlechter gestellt als Bürogebäude?
Brandlhuber nutzte das Hintergrundgespräch mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Scholz nach eigenen Angaben, um auf einige Schieflagen hinzuweisen. „Wir haben ihm erläutert“, sagt Brandlhuber mit Blick auf seinen Mitkurator Olaf Grawert: „Wenn wir ein Bürogebäude bauen und vergleichen das mit einem Wohngebäude, dann ist das Wohngebäude immer 19 Prozent teurer, denn Wohnen ist mehrwertsteuerpflichtig. Beim Bürogebäude kann ich dies optieren. Nun muss doch jeder, der an einer Wertschöpfungskette teilnimmt, Wohnen um arbeiten zu können. Warum wird das Wohnen also verteuert? In diesem Punkt haben wir uns vertagt.“
Immobilienverkäufe könnten höher besteuert werden
Drei renommierte Wissenschaftler fordern unterdessen der Nachrichtenagentur dpa zufolge die Abschaffung der Steuerprivilegien für Immobilienbesitz. Investitionen in Immobilien würden in Deutschland seit Jahrzehnten massiv steuerlich begünstigt, kritisieren Ifo-Präsident Clemens Fuest, die Chefin des Steuerrechtsinstituts der Universität Köln, Johanna Hey, und der Mannheimer Ökonom Christoph Spengel.
„Diese Steuersubventionierung führt zur Fehllenkung von Investitionen und zur Anhäufung von Grundvermögen in den Händen weniger Menschen sowie Unternehmen“, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Aufsatz.
Nach Einschätzung Fuests, Heys und Spengels haben die Steuervorteile darüber hinaus zum starken Anstieg der Immobilienpreise beigetragen. Immobilienbesitz macht demnach mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens in Deutschland aus, und den wohlhabendsten zehn Prozent der deutschen Haushalte gehören 70 Prozent der nicht selbst genutzten Immobilien.
Die drei Wissenschaftler argumentieren, dass „vergleichsweise geringe gesetzgeberische Korrekturen“ bei Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer die Fehlanreize beheben könnten.
Konkret schlagen sie unter anderem vor, Immobilienverkäufe höher zu besteuern. Wer eine Immobilie kauft und länger als zehn Jahre behält, muss den Gewinn eines Wiederverkaufs bislang nicht versteuern. „Dadurch bleibt es bei einer Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Vermögensarten wie zum Beispiel Aktienanlagen“, kritisieren Fuest, Hey und Spengel.
Große Immobilien-Aktiengesellschaften profitieren laut Analyse der drei Steuerrechtsexperten bislang von einer Befreiung ihrer Mieteinnahmen von der Gewerbesteuer. Auch dieses Steuerprivileg halten die Wissenschaftler für überflüssig.
Bei seinem Amtsantritt als Hamburgs Bürgermeister hatte Scholz den Wohnungsbau zur Priorität seiner SPD-Regierung erklärt und 2011 ein Bündnis zwischen der Stadt und Verbänden der Wohnungswirtschaft geschlossen. Monatlich wurde die Tagung einer Senatskommission angesetzt: eine Runde aus dem Ersten Bürgermeister, der Wohnungsbau-Senatorin, Behördenchefs und Oberbaudirektor sowie dem Chef der kommunalen Wohnungsgesellschaft Saga.
Ein Bundesbauministerium als Steuerungsinstrument der Klima- und Umweltpolitik
In einem Bundesbauministerium könnte und sollte mehr besprochen werden als der vernachlässigte Sozialwohnungsbau und weitere Planzahlen im Wohnungsbau, findet Arno Brandlhuber. Er brachte Scholz weitere Überlegungen nahe: Das Bundesbauministerium als Planungs- und Steuerungsinstrument für nachhaltiges Handeln in der Klimakrise. Vierzig bis fünfzig Prozent des gesamten Müllaufkommens ist Bauschutt.
Ein Bauministerium sei deshalb wichtig und zentral, sagt der Berliner Architekt, „weil es dort um die Diskussionen von CO2-Immissionen, von Rohstoffen, um die Reduktion von Treibhausgasen geht“. Auf der anderen Seite komme dies mit Lebensraumplanung zusammen: „Was fördert Zusammenleben, das Verweben von Wohnen und Arbeit, das Verhältnis Stadt und Land – auch hinsichtlich Infrastrukturen, Transportwegen und den damit verbundenen Ressourcen? Wenn es nun um die Gesamtenergiebilanz geht, wird es eventuell nachhaltiger sein, ein 60er Jahre-Gebäude nachzunutzen anstelle abzureißen, neu zu bauen und mit seltene Erden verbrauchender Fotovoltaik zu versehen. Umweltfragen, Gesamtresourceneinsatz und Lebensraumplanung als ein Feld zu denken, ökologisches wie ökonomisch, ist die Herausforderung. Alles kommt zusammen. Eigentlich sollte das ein sehr zentrales positioniertes Ministerium sein.“
Quelle: Der Tagesspiegel