Der Immobiliensektor hat Probleme: Käufer sind kaum zu finden, der Mietmarkt boomt. FOCUS online sprach mit Interhyp-CEO Jörg Utecht über veränderte Rahmenbedingungen, staatliche Unterstützung, die Bedeutung von Wohneigentum für die Altersvorsorge und wie man an eine geeignete Immobilie kommt.
FOCUS online: Herr Utecht, in der Nullzinsphase wollte gefühlt jeder eine Immobilie kaufen, jetzt wird verstärkt im Mietmarkt gesucht und auf bessere Zeiten gewartet. Können Sie das nachvollziehen?
Jörg Utecht: Ich würde nicht warten, sondern mich auch in der aktuellen Situation aktiv mit dem Immobilienerwerb beschäftigen.
Für Sie als Chef der Interhyp, die von der Kreditvergabe lebt, eine logische Reaktion. Wie begründen Sie Ihre Haltung?
Für Sie als Chef der Interhyp, die von der Kreditvergabe lebt, eine logische Reaktion. Wie begründen Sie Ihre Haltung?
Utecht: Derzeit muss man durchschnittlich 27 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens aufwenden, um seinen Wohnwunsch zu finanzieren. Das ist vergleichbar mit dem Jahr 2008, also vor Beginn der Niedrigzinsphase. Am Tiefpunkt waren es nur 21 Prozent, insofern ist es jetzt etwas teurer. Das aktuelle Niveau ist jetzt historisch betrachtet aber nicht ungewöhnlich hoch. Und als die Finanzierungskosten sehr niedrig waren, wollte man am liebsten eine möglichst große Immobilie in einer Traumlage kaufen. Nur: Angesichts des engen Marktumfelds gab es kaum Objekte, viele potenzielle Käuferinnen und Käufer kamen nicht zum Zuge.
Objekte gibt es nun genug.
Utecht: Die Rahmenbedingungen sind völlig anders, das stimmt. Das Immobilienangebot ist auf den gängigen Portalen im Vergleich zu Anfang 2022, dem Ende der Niedrigzinsphase, um fast 200 Prozent gestiegen. Und auch die Bereitschaft der Verkäufer, über den Preis zu sprechen, hat sich verändert.
Obwohl die Preise vor allem im zweiten Halbjahr 2022 schon so stark gefallen sind?
Utecht: Ja. Seit Februar/März 2023 haben sich die Preise stabilisiert, danach ging es nur noch leicht nach unten – mit regionalen Unterschieden. Es gibt derzeit viele Immobilien, bei denen es sich lohnt, nachzurechnen und genau hinzuschauen.
Zum Beispiel?
Utecht: Bei Häusern mit niedriger Energieklasse. Wenn dort ein detaillierter Sanierungsfahrplan aufgestellt wird und die Kosten seriös ermittelt werden, kann das in die Kaufpreisverhandlungen einfließen und das Objekt durchaus interessant machen. Wir sehen derzeit bei zahlreichen Kundinnen und Kunden, dass sie gerade in diesem Segment erfolgreich die Preise signifikant nach unten verhandeln. Der neue Markt bietet auch neue Chancen.
Sie sehen die eigene Immobilie nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Altersvorsorge. Dann muss es Sie beunruhigen, dass derzeit so wenig gebaut wird. Der Immobilienkonzern Vonovia will in diesem Jahr keine neuen Wohnungen bauen, der Plan der Regierung, 400.000 neue Wohnungen zu bauen, ist schon jetzt ein Luftschloss.
Utecht: Die Bedeutung der Immobilie als Altersvorsorge wird unterschätzt. Wenn ich mir anschaue, wie sehr die staatlichen Rentensysteme unter Druck stehen, dann weiß ich, dass private Vorsorge unverzichtbar ist. Und ich gebe Ihnen recht: Die Lage auf dem Immobilienmarkt ist besorgniserregend, und die öffentlichkeitswirksame Erklärung von Vonovia macht die Sache nicht besser.
Aber lassen Sie mich noch einmal auf den Aspekt der Altersvorsorge zurückkommen. Wir haben derzeit eine hohe Inflation und viele Mietverträge sind daran gekoppelt. Was bedeutet das?
Dass automatisch auch die Mieten steigen. Worauf wollen Sie hinaus?
Utecht: Bei einer Immobilienfinanzierung legt man den Ausgabenblock über einen langen Zeitraum fest, das können bis zu 30 Jahre sein. Und zwar inflationsgeschützt. Bei einem inflationsindexierten Mietvertrag steigen Ihre Wohnkosten automatisch mit, wenn die Preissteigerung hoch bleibt. Ein Annuitätendarlehen gibt dagegen Planungssicherheit. Und ich sage es noch einmal: Der Aspekt der privaten Altersvorsorge ist enorm wichtig.
Dafür braucht es aber bezahlbaren Wohnraum. Was kann der Staat tun, um die Wohnungsnot zu lindern? Er profitiert ja auch davon, wenn die Menschen privat vorsorgen.
Utecht: Dazu zwei Punkte: 1. Die Kaufnebenkosten sind mit bis zu 12 Prozent extrem hoch. Wenn das Ersparte schon für Grunderwerbsteuer, Makler etc. draufgeht, fehlt das Geld für den Immobilienkauf. Hier helfen Freibeträge oder auch eigenkapitalersetzende Darlehen vom Staat. Man könnte auch darüber nachdenken, die Zinskosten von der Steuer abzusetzen. In anderen Ländern gibt es das bereits.
Und der zweite Punkt?
Utecht: Die Bürokratie am Bau ist enorm. 16 Landesverordnungen, über 3000 Normen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Bürokratieabbau wäre enorm wichtig.
Damit auch serielles Bauen möglich wird?
Utecht: Günstigeres Bauen mit weniger Verwaltungsaufwand ist auf jeden Fall hilfreich, um den Markt in Bewegung zu bringen.
Wie beurteilen Sie den 14-Punkte-Plan der Ampel?
Utecht: Als ein richtiges Signal. Die Ankündigungen sind maß- und sinnvoll, etwa den Baustandard EH-40 auszusetzen. Denn 2024 wird es noch strengere Regeln geben, die Baukosten würden somit noch weiter steigen. Auch die degressive Abschreibungs-Möglichkeit ist gut und hilft den Kapitalanlegern.
Wie wirken sich Zinserhöhungen auf das Geschäft aus?
Utecht: Die Bundesbank hat mitgeteilt, dass das Neugeschäft bei Finanzierungen im zweiten Quartal um mehr als 40 Prozent eingebrochen ist. Das geht auch an uns nicht spurlos vorbei. Wir schauen daher in der aktuellen Situation bewusst auf die Kostenseite.
Wie geht es mit den Zinsen weiter?
Utecht: Ich rechne für die kommenden Monate mit einer Seitwärtsbewegung um die vier Prozent, auch wenn wir seit Anfang Oktober eine spürbar anziehende Zinsentwicklung sehen. Zinsen über fünf Prozent halte ich für eher unwahrscheinlich. Die Inflation im Euroraum dürfte noch einige Zeit über dem angestrebten Niveau bleiben, weitere Leitzinserhöhungen der EZB kann ich mir aktuell weniger vorstellen. Mittelfristig könnte es auch wieder leicht nach unten gehen.
Aber wenn die Zinsen so hoch bleiben, müssen die Käufer Abstriche machen, oder?
Utecht: Ja, es muss neu kalibriert werden und die Frage ist, wo kann ich mir was leisten? Die Zeiten haben sich geändert: 2018 haben sich viele Träume mangels ausreichender Angebote nicht erfüllt. Aber es muss auch ein Umdenken stattfinden: Unsere Leistbarkeitsstudie hat gezeigt, dass die Bereitschaft, sich für die eigene Immobilie einzuschränken, im Vergleich zur Studie aus dem Vorjahr um acht Prozentpunkte auf 54 Prozent gesunken ist. Das ist ein Warnsignal. Natürlich sei jedem sein Urlaub oder der Restaurantbesuch gegönnt. Dennoch bedeutet ein Hauskauf oft auch Verzicht an anderer Stelle. Früher haben unsere Eltern beispielsweise auch auf den ein oder anderen Urlaub verzichtet und haben gespart, um sich ein eigenes Haus leisten zu können.
Und um damit die eigene Altersvorsorge auf eine breitere Basis zu stellen.
Utecht: Genau. Das muss in die Köpfe der Menschen: Wohneigentum ist ein wertvoller Baustein der Altersvorsorge.
Quelle: FOCUS online