Die Europäische Zentralbank (EZB) hat erstmals nach Monaten den Leitzins gesenkt. Hat die Geldpolitik der Notenbank Auswirkungen auf den deutschen Immobilienmarkt und wenn ja, welche? – Analysen und Prognosen.
Nach langer Zeit hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen wieder leicht gesenkt. Mit weiteren schnellen Zinsschritten nach unten ist laut Präsidentin Christine Lagarde aber nicht zu rechnen. Der Kampf gegen die Inflation sei noch nicht vorbei. Die Zinsen werden so lange restriktiv bleiben, wie es notwendig ist, um auf Dauer Preisstabilität sicherzustellen. „Wir müssen den Fuß noch eine Weile auf der Bremse lassen, wenn auch nicht mehr ganz so fest wie bisher“, führte Lagarde aus.
Analysen und Prognosen zeigen, wie sich die aktuelle EZB-Entscheidung auf die deutschen Immobilienmärkte auswirkt. Die EZB hat die Leitzinsen am 6.6.2024 erstmals wieder gesenkt. Knapp neun Monate blieb das Zinsniveau auf einem Rekordhoch.
EZB-Zinssenkung: Signal für die Immobilienmärkte
Catella Research geht davon aus, dass es im Laufe des zweiten Halbjahres 2024 zu weiteren Anpassungen – wahrscheinlich mit 0,25-Prozent-Schritten – kommen wird. Doch bereits die erste Leitzinssenkung vom 6. Juni sei ein positives Signal mit (psychologischen) Effekten auf Immobilienmärkte und Akteure. Die ersten Investoren werden wieder aktiv. Außerdem erwarten die Experten ein messbares Einpendeln des neuen Preisniveaus bei Finanzierungen und ein starkes Anziehen der Transaktionsaktivitäten – notleidende Kreditengagements und lnsolvenzen werden weiter erhalten bleiben.
Bestandshalter stehen vor der Herausforderung der Darlehensprolongationen, die wegen restriktiver Kreditvergabestandards auch keine Selbstläufer mehr sind. Gleichzeitig vermindern die massiv gestiegenen Zinskosten den Objekt-Cashflow und damit einhergehend den Spielraum für energetische Sanierungen. Nachdem sich die non-performing loan (NPL)-Quoten erst mit Zeitverzögerung zu den fundamental geänderten Rahmenparametern darstellen lassen, geht Catella Research von einem Anstieg notleidender Kredite bis mindestens 2026 aus.
Leitzins: So passen sich die Immobilienpreise an
Die Senkung dürfte sich indirekt auch auf die Bauzinsen und Immobilienpreise auswirken. Wie lange das dauert, zeigt eine Analyse von Immowelt. Nach dem Ende der Niedrigzinsphase und dem rapiden Anstieg der Bauzinsen ab Ende 2021 dauerte es demnach in der Spitze sechs Monate, bis die Angebotspreise gesunken sind. Als es im Oktober 2023 bei den Bauzinsen leicht nach unten ging, stiegen die Immobilienpreise deutlich schneller – es dauerte zwischen vier Wochen und zwei Monaten.
In drei Städten verteuerte sich Wohneigentum sogar vorher. Eine davon ist Berlin: Dort sind die Preise für Wohneigentum schon im August 2023 wieder leicht gestiegen, also zwei Monate vorher. Das könnte laut Immowelt damit zusammenhängen, dass das Interesse an Immobilien unter anderem wegen der vergleichsweise niedrigen Kaufpreise in der Hauptstadt schneller zurückgekehrt ist beziehungsweise nicht so stark abgeflacht ist wie in anderen Städten.
Um die hohe Inflation infolge des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise zu bekämpfen, erhöhte die EZB den Leitzins ab Juli 2022 zehnmal in Folge. Die Bauzinsen reagierten bereits ab Dezember 2021 mit Anstiegen. Innerhalb eines halben Jahres kletterten die durchschnittlichen Bauzinsen von einem Prozent auf mehr als vier Prozent.
Immobilienwerte rutschen nach EZB-Zinsentscheid ab
Die Anleger von Immobilienwerten hat die erwartete Zinssenkung nicht zufriedengestellt. Die Kurse der großen deutschen Branchenwerte rutschten deutlich ins Minus ab: Vonovia fiel um 2,1 Prozent, während der Dax mit 0,4 Prozent im Plus blieb. Im MDax versammelten sich TAG Immobilien, LEG und Aroundtown mit Abschlägen zwischen 2,7 und 5,2 Prozent ganz hinten.
Immobilienwerte reagieren für gewöhnlich besonders sensibel auf geldpolitische Entscheidungen, doch im aktuellen Fall hatten Anleger wohl auf klarere Signale für die künftige Zinspolitik gehofft. Hohe Zinsen erschweren den Unternehmen das Geschäft auf zweierlei Weise: Zum einen verteuern höhere Zinsen die Refinanzierung am Kapitalmarkt, wo sich die Unternehmen mit frischem Geld versorgen. Zudem werden Verkäufe aus den Beständen tendenziell erschwert.
Perspektiven: Kein Immobilienboom durch EZB-Geldpolitik
Mit der jüngsten Entscheidung der europäischen Notenbank wird es laut Prof. Dr. Günter Vornholz, Immobilien Research Vornholz GmbH, Entspannung geben auf der Zinsseite, aber keine Rückkehr zur Niedrigzinsphase mit Immobilienboom.
Die Marktteilnehmer hätten die EZB-Schritte vorweggenommen, so Vornholz. Die langfristigen Hypothekenzinsen sinken seit November 2023, wie etwa bei der Darstellung der Zinsentwicklung der Interhyp AG zu sehen ist. Ab Anfang 2024 ist wieder ein leichter Anstieg festzustellen. Effekte auf den Immobilienmarkt hängen zudem auch von der Reaktion der Geschäftsbanken ab.
Die Leitzinsänderungen der EZB sind nicht die entscheidenden Faktoren für die Entwicklung der Hypothekenzinsen, führt der Experte weiter aus. Die Bauzinsen werden auch über die Renditen der Pfandbriefe, mit denen die Banken Hypothekenkredite refinanzieren, von der Rendite der Bundesanleihen beeinflusst. Ebenso bestimmen die Erwartungen der Marktakteure die Entwicklung. Durch die Reduzierung der Leitzinsen beabsichtigt die Zentralbank jedoch, dass auch die Hypothekenzinsen sinken und Impulse für die Immobilienmärkte gegeben werden.
„Die Finanzierungskosten für Bauvorhaben werden etwas reduziert, aber nicht in dem notwendigen Maße, um eine ausreichende Finanzierung zu erreichen“, ordnet Vornholz ein. Eine marginale Zinssenkung alleine werde keinen Bauboom auslösen. Für Investoren seien andere Assets im Blick auf die Verzinsung teilweise attraktiver. „Die EZB hat mit der Zinssenkung eine neue Phase der Geldpolitik geschaffen“, so Vornholz abschließend, aber im Vergleich zu den vorherigen Phasen dürften die Maßnahmen nur begrenzt Impulse für die Immobilienmärkte haben.
Leitzins-Effekt auf die Immobilienfinanzierung
Die Zinsentscheidungen der EZB betreffen nur die kurzfristigen Zinsen. „Diese sind zwar mittlerweile wieder ein bedeutsamer Kostenfaktor bei Projektentwicklungen, aber für die Preisbildung selbst sind die langfristigen Zinsen wesentlich wichtiger“, heißt es im BF.Marktradar für Juni 2024. Hier plane die EZB für dieses Jahr, die Maßnahmen nur langsam zurückzufahren, also den Bilanzbestand an langfristigen Krediten und Wertpapieren abzubauen. Das könnte sogar eine Erhöhung der langfristigen Zinsen bewirken. Änderungen der langfristigen Zinsen sind erst zu erwarten, wenn sich die Inflationserwartungen wesentlich ändern.
Unabhängig von den EZB-Aktionen zeigen laut BF-Markradar die Zahlen im ersten Quartal 2024 eine Verbesserung im Immobilienfinanzierungsmarkt: Das Volumen an Wohnimmobiliendarlehen stieg um 7,1 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Diese Entwicklungen zeigen den Experten zufolge, dass Finanzierungen, die vorher nicht platzierbar waren, wieder marktfähig werden und Kreditgeber finden. Die Dauer einer Finanzierungsentscheidung sei allerdings nach wie vor lang und Geldgeber weiterhin vorsichtig, doch es zeichne sich eine erste, schrittweise Normalisierung ab.
Ifo-Präsident Clemens Fuest begrüßte die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank als sinnvollen Schritt: „Diese Zinssenkung ist an den Märkten allerdings bereits eingepreist, der Impuls für die Konjunktur wird begrenzt sein.“ Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) meinte zuversichtlich, dass die Senkung des EZB-Leitzinses zusammen mit diesen besseren Finanzierungsbedingungen der Baubranche einen neuen Schub geben wird.
Quelle: Haufe Online Redaktion