Die Wohnungsnot und die hohen Mieten treiben Extremisten Wähler in die Arme. Davon ist die neu gewählte Präsidentin des Zentralen Immobilienausschusses, Iris Schöberl, überzeugt. Im Interview erklärt sie, was jetzt passieren muss, um die Krise zu lösen
Sie sind zur Präsidentin des Zentralen Immobilienverbandes (ZIA) gewählt worden, während Deutschland über Wohnungsnot und Baukrise debattiert. Wie sehen Sie und Ihre Mitgliedsunternehmen die Lage?
IRIS SCHÖBERL: Der ZIA repräsentiert die komplette Bandbreite der Immobilienbranche von Architekten, Entwicklern über Bauunternehmen bis zu den Investoren und Bestandshaltern – und das in allen Segmenten des Immobilienmarktes, beispielsweise Wohnen, Büro, Logistik- oder Gesundheitsimmobilien. Da gibt es natürlich unterschiedliche Sichtweisen. Logistikimmobilien etwa sind weiter stark nachgefragt. Unternehmen aus dem Wohnungsneubau haben derzeit zu kämpfen. In Gesprächen mit Entwicklern, also Unternehmen, die im Neubau tätig sind, bekomme ich schon ein bisschen Fatalismus zu spüren. Insgesamt gibt es aber eine Stimmung: „Jetzt erst recht“. Man muss sich mit den jetzigen Gegebenheiten, vor allem mit dem hohen Zinssatz, abfinden und das Beste daraus machen.
Wohnimmobilien sind der Bereich, der am katastrophalsten dasteht?
Auch das kommt auf die Perspektive an: Für Investoren und Bestandhalter sowie aktuelle Mieter sieht der Wohnungsmarkt gut aus. Schlimm ist es allerdings für Wohnungssuchende. Menschen, die umziehen wollen oder müssen, finden in Deutschland keine Wohnungen, weil viel zu wenig gebaut wird.
Die hohen Zinsen als Grund für den einbrechenden Wohnungsbau haben Sie genannt. Aber als die Zinsen niedrig waren, wurde auch bei Weitem nicht ausreichend gebaut.
Als viel Geld da war, wegen der niedrigen Zinsen, hat die öffentliche Hand – die das Bauland ausweist und die Baugenehmigungen vergibt – denjenigen, die bauen wollten, immer mehr Auflagen gemacht und sich sehr viel Zeit gelassen. Baugenehmigungen dauerten und dauern einfach viel zu lang. Man hatte das Gefühl, dass man sich das leisten konnte. Investoren, die bauen wollten, waren ja glücklich, wenn sie überhaupt eine Baugenehmigung ergattern konnten. Das hat dazu geführt, dass zu wenig gebaut wurde und zu teuer. Und jetzt? Inzwischen ist, glaube ich, überall angekommen, wie dramatisch die Lage ist, und dass es die zentrale soziale Frage Deutschlands ist, dass wir genügend Wohnraum schaffen. Jetzt kommen auch Ideen, wie man es schneller machen kann. Allerdings sind nun die finanziellen Mittel wegen der gestiegenen Zinsen beschränkter. Deswegen müssen unbedingt die Baukosten runter.
Sie sprechen von fehlendem Wohnraum als zentraler sozialer Frage. Nach der Europawahl haben wir in Deutschland viel über Ursachen von Politikverdrossenheit und Rechtsruck diskutiert. Das Thema Wohnungsnot und steigende Mieten tauchte dabei allerdings nicht auf. Wird das immer noch unterschätzt?
Ich glaube, die Tragweite wird immer noch unterschätzt. Ich kenne Umfragen, in denen Leute sagen, dass bezahlbarer Wohnraum für sie das Thema Nummer eins ist, noch vor dem Ukrainekrieg und den hohen Energiepreisen. Manche Menschen sehen in der Wohnungsnot ein Staatsversagen. Es hilft extremen Parteien, wenn die Leute das Gefühl haben, dass die Politiker, die für sie zuständig sind, sich nicht kümmern. Dass das im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat, hat mich gewundert.
Über die Ursachen – insbesondere steigende Baukosten durch die überbordende Bürokratie, Mangel an Bauland – reden wir jetzt so viele Jahre. Politiker auf Bundes- und Landesebene sind sich da ja einig. Aber umgesetzt werden müsste es von den zuständigen Kommunen, und da passiert offenbar nichts.
Weil es uns zu gut ging. Damit meine ich nicht nur die Immobilienbranche, sondern auch die Kommunen. Die konnten sich darauf verlassen, dass so viel Geld für Immobilien reingespült wird, weil die Investoren bereit waren, immer mehr zu übernehmen. Im Zweifelsfall hat die Kommune, wenn sie ein neues Baugebiet ausgewiesen hat, den Entwickler auch noch die Schule bezahlen und den Kindergarten herrichten lassen. Dadurch ist natürlich der Preis nach oben gegangen. Vor allem ist es ist nun einmal leider so: Wenn ein Bürgermeister wiedergewählt werden will, hilft es ihm nicht, neue Bebauungsgebiete auszuweisen. Im Gegenteil, das ist in der Regel sehr unpopulär. Alle beklagen die Wohnungsnot, aber in der eigenen Nachbarschaft will niemand neue Baugebiete oder Nachverdichtung. Die Entscheidungsträger, auf die es ankommt, haben keinen Anreiz.
Was wollen Sie also tun? Kann dieses Dilemma überhaupt gelöst werden?
Ich bin optimistisch, dass sich etwas bewegen wird. Denn inzwischen tut es richtig weh. Es tut nicht nur der Immobilienbranche weh, es tut auch der Politik weh. Man sieht das in den Wahlergebnissen. Und aus diesem Schmerz heraus, hoffe ich, kommt die Erkenntnis.
Bei Bundes- und Landespolitikern ist diese Erkenntnis ja offenbar vorhanden. Aber die sind nun mal nicht zuständig.
Die sind oft in denselben Parteien wie auch die Bürgermeister. Landes- und Bundesminister sollten zusätzlich zum eigenen Handlungsspielraum bei der Baugesetzgebung auch mal Druck machen auf ihre Parteigenossen an der Basis und auf deren Verantwortung für die Gesellschaft insgesamt hinweisen. Da erhoffe ich mir angesichts der Krise schon eine größere Offenheit – und zwar nicht nur für den Wohnungsbau. Neben dem Wohnen haben wir noch das zweite große Thema mit den leerstehenden Gewerbeflächen in den Innenstädten. Auch hier wird uns von kommunalen Entscheidungsträgern oft gesagt, was alles nicht geht. Denken Sie an die umzunutzenden Kaufhäuser. Wir brauchen dringend Konzepte, wie wir die neu nutzen können. Aber dem möglichen Investor wird das mit wirtschaftlich unerfüllbaren Auflagen nahezu unmöglich gemacht.
Warum ist das so schwer? Die Belebung der Innenstädte müsste doch im Interesse der kommunalen Verantwortlichen sein.
Da gibt es vor allem ein ganz großes Absicherungsbedürfnis. Der zuständige Dezernent hat oft vielleicht die Sorge, dass er gegen Regeln verstoßen oder seine Kompetenzen überschreiten könnte. Ich plädiere dringend dafür, dass man Kompetenzen von den Oberbürgermeistern an die zuständigen Fachleute verlagern müsste, sodass die etwa Ausnahmetatbestände genehmigen könnten.
Dieses Absicherungsbedürfnis – lieber gar nichts machen, als einen Fehler zu begehen oder Kompetenzen zu überschreiten –, ist das vielleicht das zentrale Problem hinter diesem viel beklagten Bürokratismus und der Erstarrung auch der Wirtschaft in einer Zeit, in der wir einen Wandel in vielerlei Hinsicht brauchen in Deutschland?
Das ist ein gesellschaftliches Problem. Ein Beispiel: Ich erlebe, dass Menschen Angst haben, dass es sie den Job kostet, wenn sie jetzt mal etwas Neues genehmigen. Stattdessen ziehen sie den Prozess ewig in die Länge und fordern am Ende noch mal ein anderes Gutachten ein, um auch ja sicherzugehen, dass sie bloß nicht angreifbar sind. Das lähmt die Wirtschaft und lähmt unsere Gesellschaft.
Eine ihrer zentralen Forderungen, die Sie schon angesprochen haben, ist: Baukosten runter, etwa durch Entschlackung der Vorschriften und schnellere Baugenehmigungen. Warum aber sollte ein Vermieter diesen Kostenvorteil weitergeben in der aktuellen Situation, in der er jede Wohnung zu nahezu jedem Preis vermieten kann?
Sie unterstellen, dass jeder Vermieter allein auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus ist. Vermieter haben aber beispielsweise auch ein Interesse an einer geringen Fluktuation. Hohe Mieten führen zu einer höheren Fluktuation. Am allerwichtigsten ist, dass geringere Baukosten dazu führen, dass mehr gebaut wird. Das Einzige, was den Preis wirklich unten hält, ist Konkurrenz. Nur Konkurrenz! Und das schaffen Sie nur, indem Sie viel Wohnungen auf den Markt bringen. Wenn Sie zum Discounter gehen, können Sie da auch nur deshalb so günstige Lebensmittel kaufen, weil es diese große Konkurrenz zwischen starken Einzelhandelskonzernen gibt. Und nur, wenn wir massiv neu bauen, gehen die Mieten runter.
Der Ruf Ihrer Branche ist schlecht. In der Zeit des billigen Geldes haben Investoren sehr viel Geld verdient, ohne – so ist zumindest die öffentliche Wahrnehmung – einen Mehrwert für die Gesellschaft in Form von neuem, bezahlbarem Wohnraum zu schaffen. Welchen Beitrag können Sie, die Branche, die Mitgliedsunternehmen im ZIA in dieser Krise selbst leisten?
Ich habe selbst ungefähr 1,5 Mrd. Euro in Wohnungen investiert für Pensionskassen. Das sind keine Heuschrecken. Da steckt die Altersversorgung von Arbeitnehmern drin – vielleicht auch von Ihnen. Es darf doch nicht sein, dass man sich quasi schämen muss, dass man in der Immobilienwirtschaft arbeitet. Und so weit war es zum Beispiel in Berlin gekommen, mit der Stimmungsmache rund um die Enteignungsdebatte. Über Jahre haben Investoren mir gesagt: In Berlin wollen wir unser Geld nicht anlegen. Weil man sie da offensichtlich nicht haben wollte. Die Folge kann man in den Statistiken nachschauen: Im Umland wurde viel neu gebaut.
In Berlin hat sich die Stimmung schon stark gewandelt seit dem Regierungswechsel von Rot-Rot-Grün zur schwarz-roten Regierung. Was die Branche selbst tun kann, ist, klarer zu dokumentieren, was wir richtig und gut machen. Die Mitgliedsunternehmen des ZIA haben sich Verhaltenskodizes gegeben. Wir können nicht verhindern, dass es schwarze Schafe gibt, die Wohnungen entmieten, die die Heizung im Winter abschalten und ähnliche schlimme Dinge, von denen teilweise berichtet wird. Aber bei unseren Mitgliedsunternehmen und der ganz großen Mehrheit der Investoren gibt es so etwas nicht.
Das Interview ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.
Quelle: Capital