Mitten im Streit um Enteignungen steigt die Zahl der Wohnungen, die von kommunalen Gesellschaften gekauft werden. Dahinter stecken auch Sondereffekte. Doch Experten erwarten, dass der Staat seine Aktivitäten ausweiten wird.
Städte und Gemeinden verstärken ihre Investitionen in den Wohnungsmarkt. Im ersten Quartal 2019 erhöhte die öffentliche Hand ihr Ankaufsvolumen auf dem deutschen Wohnportfolio-Markt auf rund 890 Millionen Euro, nach rund 207 Millionen Euro im Vorjahresquartal. Das geht aus einer Analyse des Immobilienberatungsunternehmens NAI Apollo hervor, die WELT AM SONNTAG vorliegt.
Teilweise sei der sprunghafte Anstieg auf Sondereffekte durch zwei außergewöhnlich große Übernahmen zu erklären. So kaufte Bremen der dortigen Sparkasse einen 50-Prozent-Anteil an der Wohnungsgesellschaft Brebau ab, zum Preis von rund 235 Millionen Euro. In Berlin übernahm die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf 1800 ehemals privatisierte Wohnungen.
Doch diese Sondereffekte reichten nicht aus, um den Anstieg im ersten Quartal zu erklären, heißt es bei NAI Apollo: „Der Trend erhöhter kommunaler Aktivitäten weist eindeutig nach oben“, sagt NAI-Chefanalyst Konrad Kanzler. „Im Gesamtjahr 2019 werden kommunale Käufer aller Voraussicht nach einen höheren Anteil am gesamten Marktgeschehen einnehmen als in den Vorjahren.“
Damit würden sie ihren sozial- und wohnungspolitischen Pflichten nachkommen. „Ankäufe von Bestandswohnungen führen, neben den vielzähligen Neubaumaßnahmen, zu einer deutlichen Erweiterung der Wohnungsbestände in öffentlicher Hand – in den angespannten Wohnungsmärkten auch durch ausgeübte Vorkaufsrechte“, so Kanzler.
Ende der 1990er Jahre bis Mitte der 2000er Jahre hatten viele Kommunen Teile ihrer Wohnimmobilienbestände verkauft. Dabei wurden sowohl große Wohnportfolios als auch ganze Gesellschaften veräußert. Nach der Wende ging man lange Zeit von einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung aus. Zudem gab es einen umfassenden im Investitionsstau im Wohnungsbestand der Kommunen, begleitet von einer wachsenden Verschuldungsquote der Städte und Gemeinden sowie teilweise schlechten Managements der Immobiliengesellschaften.
Größere Verkäufe gab es beispielsweise in Kiel, wo 1999 rund 11.000 Wohneinheiten der Kieler Wohnungsbaugesellschaft an die WCM verkauft wurden. In Dresden kaufte die amerikanische Investmentgesellschaft Fortress die Woba Dresden mit dem bereits stark reduzierten Bestand von 48.000 Wohnungen. Als neue Betreibergesellschaft wurde die Gagfah gegründet. Diese wiederum fusionierte später mit der Deutsche Annington zur Vonovia. Durch den Deal wurde die Stadt Dresden auf einen Schlag schuldenfrei.
Deutsche Wohnen kaufte 61.000 GSW-Wohnungen
Der größte Paketverkauf fand in Berlin statt. 2004 kaufte ein Konsortium um den US-Investor Cerberus die städtische GSW mit 66.000 Wohnungen. 2013 übernahm die Deutsche Wohnen SE wiederum die GSW, nun mit einem Bestand von 61.000 Einheiten.
„Aufgrund der steigenden Wohnraumverknappung vor allem in den Ballungsregionen und Top-Städten und steigenden Mietpreisentwicklung wird die öffentliche Kritik an diesen Verkäufen lauter“, stellt NAI Apollo in seiner Analyse fest. „Zudem mehren sich die Forderungen nach Rückkäufen der privatisierten Wohnungsbestände. In diesem Zusammenhang sind auch die Bestrebungen in Berlin hinsichtlich der Enteignung von Immobilienkonzernen zu sehen, die jeweils mehr als 3000 Wohnungen in der Hauptstadt besitzen.“
Neben stärkeren Zukäufen im Bestand sei damit zu rechnen, dass die kommunalen Gesellschaften und Genossenschaften insgesamt ihre Aktivitäten ausweiten würden. So wurden in Harburg, Kiel, Dresden und Paderborn neue kommunale Wohnungsunternehmen gegründet. Es gibt immer mehr eigene Bauvorhaben sowie Flächenausweisungen speziell für kommunale Vermieter.
Quelle: WELT