Eine neue Studie sieht Mieteinnahmen als Hauptursache für den steilen Anstieg der höchsten Einkommen. Die unteren zehn Prozent werden von der Entwicklung abgehängt.
Berlin. Die gute Nachricht zuerst: Die realen Haushaltseinkommen sind zuletzt deutlich gestiegen. Der Aufschwung kommt mit steigenden Löhnen und gesunkener Arbeitslosigkeit inzwischen in der Breite der Gesellschaft an.
Allerdings: Auch die Ungleichheit der Einkommen hat sich beschleunigt – vor allem wegen der Entwicklung der Immobilienpreise. Die steigenden Preise kommen den oberen Einkommensschichten zugute – und belasten vor allem Menschen im Niedriglohnsektor.
Zu diesen Ergebnissen kommt das Berliner DIW-Institut in seiner jüngsten Auswertung der Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen: Die jährliche Studie stützt sich auf Daten des „Sozio-ökonomischen Panels“ (SOEP), der umfangreichsten regelmäßigen Befragung privater Haushalte. An ihr sind 45.000 Erwachsene und Kinder beteiligt. Verglichen wurde die Entwicklung inflationsbereinigt über den Zeitraum seit 1991 bis 2016.
Seit 2013 steigen demnach für 90 Prozent der Haushalte die verfügbaren Einkommen spürbar. Das Zehntel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen jedoch wird weiter abgehängt: Für diese Gruppe sinkt das reale Haushaltsnettoeinkommen seit 2010 kontinuierlich, 2016 lag es wieder auf dem Tiefstand von 1995. „Eine mögliche Erklärung könnte die starke Zuwanderung sein“, sagte DIW-Ökonom Jan Goebel. Denn neue Einwanderer erzielten in ihren ersten Jahren kaum Einkommen.
Studienleiter Markus Grabka beobachtet zudem, dass der Mindestlohn die unteren Haushaltseinkommen kaum hat steigern können, weil viele Mindestlohn-Beschäftigte heute weniger Stunden arbeiten, und weil noch immer allzu viele Niedriglohn-Beschäftigte den Mindestlohn gegenüber ihrem Arbeitgeber nicht durchsetzen können.
Am anderen Ende der Einkommen, bei den obersten zehn Prozent, beobachten die Forscher ebenfalls eine deutlich andere Entwicklung als in den Mittelschichten: Die realen Haushaltseinkommen der Oberschicht hoben seit der Finanzkrise geradezu ab und liegen nun um 35 Prozent über dem Einkommen von 1991. Im Durchschnitt aller Haushalte betrug die Einkommenssteigerung in diesem Zeitraum 18 Prozent; während die niedrigsten Einkommen um acht Prozent sanken.
Den jüngsten Anstieg bei den obersten zehn Prozent führen die Wissenschaftler vor allem auf gestiegene Immobilienpreise und Mieten zurück. Denn: Diese Einkommensgruppe erzielt überdurchschnittlich oft Mieteinnahmen, während die untersten zehn Prozent, wenn sie in Städten leben, besonders stark von Mietsteigerungen getroffen werden.
Bei den oberen zehn Prozent stiegen die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung von 2010 bis 2016 um 39 Prozent. Die „nächstärmeren“ zehn Prozent konnten sich über eine Zunahme ihrer Mieteinnahmen um 31 Prozent freuen, die zehn Prozent darunter hatten immerhin noch um 26 Prozent höhere Mieteinnahmen. Die unteren 70 Prozent hatten demgegenüber keinen Vorteil aus der Wertsteigerung von Immobilien: Sie sind nur in Ausnahmefällen Vermieter.
Gefühl einer ungerechten Einkommensverteilung nimmt zu
Mit den auch für die Mittelschicht gestiegenen Einkommen ist die persönliche Zufriedenheit gestiegen. Das gilt für alle Einkommensgruppen. Allerdings hat ebenfalls das Gefühl einer ungerechten Einkommensverteilung zugenommen: Eine knappe Mehrheit der Befragten hielt ihren eigenen Nettoverdienst für zu niedrig und bezeichnete ihn deshalb als ungerecht.
„Möglicherweise ist dies ein Hinweis darauf, dass auch die unterschiedliche Teilhabe an den Einkommenssteigerungen wahrgenommen wird“, sagte SOEP-Direktor Stefan Liebig. Die Leute merken also, dass von den Wohlstandsgewinnen des jüngsten Aufschwungs weitaus mehr bei den Reicheren ankommt als in der Mitte.
Das belegt auch der Gini-Koeffizient, der die Einkommensungleichheit misst. Er ist seit 2010 erneut gestiegen und lag 2016 leicht über seinem vorherigen Höchststand im Jahr 2005 (erhoben seit der Wiedervereinigung). „Deutschland verfehlt bisher das Ziel der Vereinten Nationen zur Reduktion von Einkommensungleichheit“, sagte Grabka.
Das UN-Nachhaltigkeitsziel verlangt von Industriestaaten, den Einkommenszuwachs der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung stärker zu erhöhen als das durchschnittliche Einkommensplus.
Anlass zur Sorge sollte Politikern zudem die Tatsache geben, dass mehr junge Erwachsene heute nur ein Niedrigeinkommen beziehen – also weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens. In der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen steigt die Niedrigeinkommensquote von elf Prozent im Jahr 1996 auf 23 Prozent im Jahr 2016.
Familienbedingte Arbeitspausen und die Zunahme des Niedriglohnsektors sehen die Forscher als Ursachen. Vor allem in städtischen Regionen hat das Armutsrisiko für junge Familien wegen hoher Mieten zugenommen. „Es ist ein Unterschied, ob ein Haushalt mit 2000 Euro Monatseinkommen in Anklam in Vorpommern lebt oder in München“, sagte Grabka.
Der Bundesregierung empfehlen die Forscher, Minijobs und Niedriglohn-Teilzeitjobs zurückzudrängen und für ausreichend bezahlbaren Wohnraum in Ballungsräumen zu sorgen. Vor allem dies würde das Armutsrisiko senken; gerade auch für junge Familien.
Quelle: Handelsblatt