Zehn Jahre nach der Weltwirtschaftskrise gibt es die ersten Anzeichen für die nächste. Doch welche Märkte sind es, die uns Sorgen bereiten sollten?
Zehn Jahre ist die weltweite Finanzkrise mittlerweile her. Der damalige Fall am globalen Immobilienmarkt war der tiefste in mehreren Jahrzehnten. Stehen wir kurz vor einem neuerlichen Drop?
Was viele diese Frage stellen lässt, ist eine auf den ersten Blick gute Nachricht: In den letzten zehn Jahren haben weite Teile des globalen Marktes einen Großteil ihres Verlustes wieder hereingeholt. Manche sogar sehr viel mehr. In Kanada und Neuseeland etwa liegt der Markt mittlerweile 40 Prozent über dem Spitzenwert vor dem großen Crash.
Da würde man gern einmal einen Blick auf offizielle Prognosen werfen – also solche, wie es sie auch zum Wirtschaftswachstum etwa gibt. Geht aber leider nicht. Denn interessanterweise inkludiert keine internationale Institution Wohnimmobilien in ihrem Wirtschaftsausblick – nicht der Internationale Währungsfonds und auch nicht die OECD. Dabei wäre es nicht unwichtig, sie zu inkludieren. Alle Wohnimmobilien der Welt zusammengerechnet haben einen Wert von über 200 Billionen Dollar. Das ist mehr als alle Aktien und Anleihen zusammen.
Markt ohne Prognosen
Ein so wichtiger Markt, der erst vor zehn Jahren gecrasht ist, sollte besser nicht aus den Augen gelassen werden. Und doch wurde wieder einiges getan, um die nächste potenzielle Krise zu nähren – etwa besonders niedrige Zinssätze und große Bereitwilligkeit bei der Vergabe von Krediten. Beides war beziehungsweise ist natürlich gut für die Mittelklasse beim Kauf des ersten Eigenheims. Doch diese positive Seite ist eben nur eine Momentaufnahme und es gibt immer ein Danach.
Dass die nächste Immobilienkrise kommt, dass sie bald kommt, dass sie ähnlich vernichtend einschlagen wird wie die letzte, ist deswegen natürlich nicht gesagt. Da und dort zeigen sich allerdings schon Anzeichen. In Australien zum Beispiel stiegen die Immobilienpreise für einen langen Zeitraum, stagnierten dann aber sehr plötzlich und sind zuletzt innerhalb eines Jahres um acht Prozent gefallen. Die Mietpreise sind hier nach wie vor hoch. In Kanada und Neuseeland, den zwei Boom-Ländern der letzten Jahre schlechthin, und auch in Großbritannien verlangsamt sich das Wachstum merklich seit einem Jahr.
Wie wird sich die Lage weiterentwickeln? Zwar gibt es eben keine offizielle Prognose von internationalen Institutionen; jedoch meint die englische Wochenzeitung The Economist, sehr genaue Vorhersagen machen zu können.
Basis dafür ist ein lernender Algorithmus, der mit drei verschiedenen Datengruppen gefüttert wird – Wirtschaftszahlen wie Bruttoinlandsprodukt und Zinssätze, Details zum Markt wie derzeitige Hauspreise und Einkommen, und schließlich noch den vergangen Immobilienpreisen aus mehreren Jahrzehnten, bezogen unter anderem von der OECD. Das Resultat: Das System wäre zwar nicht dazu in der Lage gewesen, einen veritablen Crash vorherzusagen – eine große Trendwende hätte es aber für 2008 prognostiziert. Und möglicherweise wäre alles anders gekommen.
Plus minus drei
Das behauptet zumindest der Economist. Fakt soll immerhin sein, dass der Algorithmus in der Vergangenheit bei einer Vorlaufzeit von 18 Monaten auf drei Prozentpunkte genaue Prognosen lieferte. Drei Prozent können schon eine weite Marge sein, doch zumindest eine Richtung angeben.
Genau diese drei Prozent Schwankungsbreite könnten den entscheidenden Unterschied bedeuten, wenn man sich die Vorhersage des Economist-Algorithmus für die nächsten zwölf Monate hernimmt. Diese sagt bis Juni 2020 ein weiteres durchschnittliches Wachstum von 2,3 Prozent auf Basis von zehn Ländern auf der ganzen Welt. Eine Trendwende kann damit also nicht ausgeschlossen werden. Laut dem Economist ist die Chance eines Preisfalls von fünf Prozent oder mehr in Italien eins zu sieben. Trotzdem wird angenommen, dass der derzeit noch positive Trend eher anhalten wird. Doch wie lange noch?
Immerhin gibt es viele Faktoren, die den Markt beeinflussen. Da wären einmal die US-Tarife auf Importe. Die bewirkten bereits vergangenen Oktober, dass der Internationale Währungsfonds seine Prognose für das Weltwirtschaftswachstum 2019 von 3,9 auf 3,7 Prozent senkte. Die damalige geschäftsführende Direktorin, Christine Lagarde, sagte zwar, die nächste Rezession stünde nicht unmittelbar bevor; „doch das Risiko einer stärkeren Talfahrt im weltweiten Wachstum hat sich definitiv verschärft.“ Im April lag das prognostizierte Wachstum für das laufende Jahr dann schon bei 3,3 Prozent und vor einer Woche wurde es noch einmal gesenkt: auf 3,2 Prozent. Auch das Wachstum für 2020 liegt jetzt nicht mehr bei 3,6, sondern 3,5 Prozent.
Niedrige Erwartungen und die Realität
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Die Rechnung ist ganz einfach: weniger Wachstum bedeutet weniger Jobs und weniger Geld, weniger Geld bedeutet weniger Chancen für Menschen, Häuser und Wohnungen zu kaufen. Was über-simplifiziert klingen mag, ist einfach nur die Realität.
In den USA liegen die Immobilienpreise mit derzeit 0,1 Prozent Wachstum unter den bereits niedrig angesetzten Erwartungen. Im Jahresvergleich hingegen lag der Mai ganze fünf Prozent im Plus. Eine Talfahrt hat also noch nicht eingesetzt, eine Stagnation hingegen schon. Eine mögliche Erklärung sind die Handelstarife, die zu höheren Preisen im Inland und in weiterer Folge niedrigeren verfügbaren Einkommen in der US-Bevölkerung führen. Alles in allem war 2018 für viele amerikanische Städte ein gutes Jahr für Immobilienkäufe. Die Zinssätze in einem historischen Tief und die Arbeitslosenrate so niedrig wie zuletzt vor 50 Jahren, nahmen die Hauspreise etwa in Orlando, Seattle und Denver zwischen zehn und 13 Prozent zu.
Anderer Kontinent, anderer Einfluss. In Europa hat indes der drohende Brexit – und vor allem der drohende No-Deal Brexit – seine Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Und das aus unterschiedlichen Richtungen.
So haben laut dem Guardian 2018 über 132.000 EU-Bürger ihren Job im Vereinigten Königreich niedergelegt und sind meistens in ihre Heimatländer zurückgekehrt – größtenteils in Mittel- und Osteuropa. Mit der Aussicht auf weitere Abwanderungen aus Großbritannien im Zuge des Brexit könnte die Immobiliennachfrage in Warschau, Bukarest und Budapest bald immens ansteigen.
Pfund und Öl
Gleichzeitig wird das britische Pfund im Falle eines No-Deal Brexits wahrscheinlich stark fallen, was ebenfalls für viele Investoren eine einmalig billige Gelegenheit sein wird, auf der Insel zuzugreifen.
Und auch der russische Markt ist von Problemen geplagt, die in erster Linie gar nichts mit Immobilien zu tun haben scheinen. Da weltweit eine Wende hin zu erneuerbaren Energiequellen stattfindet und die Nachfrage nach Öl und Gas derzeit stark von amerikanischen Quellen gesättigt wird, leidet die russische Wirtschaft. Hier machen Ölexporte immerhin 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Und so stagnieren in Russland seit 2015 die Hauspreise.
Und so könnte über jedes Land der Welt ein eigener langer Bericht geschrieben werden, denn überall wirkt sich der eine oder andere Faktor auf den Immobilienmarkt aus – in der Schweiz gibt es den ersten Dämpfer nach 15 Jahren, in Ägypten positive Prognosen trotz großer Einbrüche, in Südafrika kleine Zuwächse, in den Niederlanden einen regelrechten Boom. Von einem Markt kann man nicht geradewegs auf den anderen schließen, doch sie alle haben einen Einfluss aufeinander im weltweiten Klima, das der Algorithmus von Economist vorherzusagen versucht. Vielleicht hat dieser ja recht und ein großes Tief steht nicht kurz bevor. Aber mal sehen, was er in eineinhalb Jahren meldet.
Quelle: SOLID