Ungeachtet der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können die allermeisten Schuldner ihre Immobilienkredite bedienen. Die Zahl der Zwangsversteigerungen sinkt weiter. Experten rechnen aber zeitverzögert mit einem Schub.
Die Zahl der Zwangsversteigerungen in Deutschland ist auch in der Corona-Pandemie gesunken. Nach Recherchen des Fachverlags Argetra wurden im vergangenen Jahr Verfahren für 14.853 Immobilien mit Verkehrswerten von gut 3,1 Milliarden Euro eröffnet. Im Vorjahreszeitraum 2019 waren es 17.600 Häuser, Wohnungen oder Grundstücke mit einem Verkehrswert von mehr als 3,4 Milliarden Euro.
Die anhaltenden Niedrigzinsen, viele gestundete Kredite von Banken und das Kurzarbeitergeld hätten zahlreiche Zwangsversteigerungen in der Pandemie verhindert, schreiben die Argetra-Experten in dem Bericht, wie die dpa berichtet. 2020 waren demnach im Bundesschnitt 36 von 100.000 Haushalten von Zwangsversteigerungen betroffen (Vorjahr: 42). Mit dem Auslaufen staatlicher Hilfen, mehr Arbeitslosigkeit und Insolvenzen könnten die Zahlen aber steigen, so Argetra. Für die Auswertung hat der Fachverlag die Termine für Zwangsversteigerungen an allen knapp 500 Amtsgerichten ausgewertet.
Zwangsversteigert werden laut den Angaben vor allem Wohnimmobilien (66 Prozent) mit dem Löwenanteil bei Ein- und Zweifamilienhäusern, gefolgt von Eigentumswohnungen. Der Rest (34 Prozent) entfalle unter anderem auf Gewerbegrundstücke, Geschäftshäuser, Grundstücke und sonstige Immobilien. Nur etwa die Hälfte der eröffneten Zwangsversteigerungsverfahren endet aber im Gericht. Der Rest der betroffenen Häuser, Wohnungen oder Grundstücke wird schon vorher verkauft – Käufer finden sich im Immobilienboom genug.
Die Zahl der Zwangsversteigerungen in Deutschland nimmt seit Jahren ab. Als Gründe gelten die lange Zeit gute Konjunktur und die Niedrigzinsen, die die Zinslast von Krediten für Schuldner niedrig halten sowie die Nachfrage nach Immobilien antreiben.
„In den vergangenen zehn Jahren ist die Wirtschaft stetig gewachsen, die Zahl der sozialversichert Beschäftigten erreichte immer neue Rekorde und die Reallöhne sind in diesem Zuge ebenso stetig gestiegen“, erklärte Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus und Grund. Daher seien weniger Zwangsversteigerungen keine Überraschung. „Die positive wirtschaftliche Entwicklung hat durch die Corona-Pandemie ein jähes Ende gefunden.“
In der Krise böten Banken Kreditnehmern an, Zahlungen zu stunden, anstatt Darlehen zu kündigen und Zwangsversteigerungen einzuleiten, sagte Argetra-Geschäftsführer Walter Ruesch. Auch seien viele Termine für Zwangsversteigerungen wegen Versammlungsverboten in der Pandemie abgesagt worden. Wegen des Konjunktureinbruchs und der gestiegenen Arbeitslosigkeit gerade in der Autoindustrie sei zeitverzögert wieder mit deutlich mehr Zwangsversteigerungen zu rechnen. „Die corona-bedingten Kündigungen von Krediten erwarten wir erst ab der zweiten Jahreshälfte 2021 und besonders 2022, da die Bearbeitungszeiten bei Banken und Gerichten sehr lang sind.“
Im vergangenen Jahr wurden laut Argetra Immobilien im Verkehrswert von gut 212.000 Euro versteigert, nach durchschnittlich 195.000 Euro im Vorjahr. In Hamburg und Berlin waren die Werte am höchsten, in Sachsen-Anhalt am niedrigsten. Der Verkehrswert von Immobilien weicht häufig vom aktuellen Marktwert ab, da oft ein bis zwei Jahre zum Termin der Zwangsversteigerung vergehen und Preise derweil steigen oder fallen.
Besonders viele Immobilien würden in der Mitte Deutschlands von Nordrhein-Westfalen bis nach Ostdeutschland versteigert. Die Zahl der anberaumten Zwangsversteigerungstermine pro 100.000 Haushalte sei in Sachsen-Anhalt (73) trotz eines Rückgangs noch immer drei Mal so hoch wie in Bayern (22). Bei den 40 Städten mit den meisten Terminen liegt Chemnitz vorn, gefolgt von Leipzig, Zwickau und Berlin.
Ruesch widersprach dem Eindruck, dass Käufer bei Zwangsversteigerungen günstig an Wohnungen oder Häuser kommen. „Billig ist derzeit am Immobilienmarkt nichts mehr.“ Bei Zwangsversteigerungen gehe es vielmehr darum, dass Schuldner gut aus ihrer finanziellen Lage, häufig nach Arbeitslosigkeit, kämen.
Quelle: dpa