Neu einziehende Mieter müssen kaum noch mehr zahlen. Erleben wir das Ende des 2009 begonnenen Immobilienbooms? Sinken auch die Kaufpreise? Reiner Braun, Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts Empirica über die weiteren Aussichten – und eine echte Sensation.
WirtschaftsWoche: Herr Braun, die neu aufgerufene Mieten in den deutschen Städten sollen 2019 nicht mehr gestiegen, sondern sogar leicht gesunken sein. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Auswertungen. Dürfen Mieter jetzt aufatmen?
Reiner Braun: Langsam sieht man Licht am Ende des Tunnels. Die Angebotsmieten stagnieren vielerorts. Dass sie wirklich sinken, bezweifle ich – aber auch eine Stagnation ist nach Jahren des Anstiegs schon eine echte Sensation. Zumal für diese Daten die Angebotsmieten auf den einschlägigen Internetportalen ausgewertet werden und die überzeichnen die Gesamtlage.
Inwiefern?
Ich gehe schon davon aus, dass die Vermieter zu den aufgerufenen Mieten auch Mieter finden. Insofern sind das reale Werte. Aber es gibt durchaus Schnäppchen, günstigere Wohnungen, die gar nicht erst auf den Portalen inseriert werden. Um solche Wohnungen reißen sich die Mieter. Da wird jeder Mieter, der ausziehen muss, dem Vermieter sofort einen Nachmieter vorschlagen. Die gehen unter der Hand weg. Solche günstigeren Mieten fließen damit nicht in die Werte der Internetportale ein.
Die offiziell ausgewiesene Beruhigung bei den Mieten passt nicht recht zur gefühlten Lage. Mieter klagen weiter über das knappe Angebot und steigende Mieten. Es gibt auch Auswertungen, die für 2019 noch steigende Mieten in den Städten ausweisen.
Wichtig ist die genaue Unterscheidung. Wenn Angebotsmieten stagnieren, heißt das ja nur, dass neu zur Vermietung angebotene Wohnungen nicht noch teurer vermietet werden, als die vor einem Jahr zur Miete angebotenen Wohnungen. Wer schon lange zur Miete wohnt, der zahlt meist ohnehin deutlich niedrigere Mieten – die Bestandsmieten. Natürlich erhöht so mancher Vermieter diese Bestandsmieten noch, soweit und so stark wie das rechtlich möglich ist. Insgesamt kann es also durchaus sein, dass die Mieter in den kommenden Jahren im Schnitt mehr zahlen müssen, auch wenn die Angebotsmieten stagnieren oder gar sinken. Der Abstand zwischen Bestands- und Angebotsmieten ist vielerorts groß.
Die Kreditzinsen sind 2019 weiter gesunken, das Angebot an Wohnraum hält mit der Nachfrage nicht mit. Wie kommt es zu den stagnierenden Mieten?
Angebot und Nachfrage waren tatsächlich die entscheidenden Faktoren für den Mietanstieg der vergangenen Jahre. Wir haben drei große Zuwanderungswellen in Deutschland erlebt: erst aus Südeuropa, dann aus Osteuropa und am Schluss, vor allem 2015, die Flüchtlinge. Das ist aber nun schon ein paar Jahre her. Es hat lange keine Zuwanderungswelle mehr gegeben. Natürlich spielt die Binnenwanderung innerhalb Deutschlands ebenfalls eine Rolle. Aber auch da ziehen viele nicht mehr in die Städte, die in den vergangenen Jahren besonders im Fokus standen. In Berlin ist der Saldo aus Zu- und Fortzüglern im vierten Jahr in Folge gesunken. Wenn Studenten aus Brandenburg in der Vergangenheit fürs Studium nach Berlin gezogen sind, dann weichen sie jetzt eher aus, weil sie in der Hauptstadt keine Wohnung mehr finden. Sie gehen dann eher nach Magdeburg oder Chemnitz zum Beispiel. Solche Ausweichreaktionen beobachten wir bei vielen Städten. Statt Stuttgart ist Pforzheim eine Alternative.
Da werden Stuttgarter sofort widersprechen…
Es mag sein, dass kein Zuzügler wirklich primär nach Pforzheim will. Das ist nicht unbedingt die attraktivste Stadt. Sie liegt aber günstig an der Autobahn A8 und hat eine gute Bahnanbindung, etwa nach Karlsruhe und Stuttgart. Bei niedrigen Mieten können solche Ausweichstädte zu einer echten Entlastung führen.
Sie haben bisher über die Mieten gesprochen. Schlägt diese Entwicklung direkt auf die Kaufpreise durch? Platzt jetzt die Immobilienblase?
Wir haben in Deutschland eine Blase auf dem Immobilienmarkt. Wer das Gegenteil behauptet, der ist Lobbyist: entweder Banker oder aus der Immobilienwirtschaft. Aber auch wenn es eine Blase gibt, heißt das nicht unbedingt, dass sie platzen muss. Obwohl die Mieten stagnieren, beobachten wir bislang keine stagnierenden Kaufpreise. Der beste Indikator für Preisrisiken wäre ein steigender Leerstand. Davon ist in den Städten noch nichts zu sehen. Bei den Kaufpreisen sind die Zinsen ein entscheidender Faktor. Sollten die Zinsen deutlich steigen und Kredite verteuern, könnte das tatsächlich zu sinkenden Kaufpreisen führen. Doch von steigenden Zinsen sind wir momentan noch weit entfernt. Noch fehlt also ein Auslöser für Preisdruck.
Gibt es eine Art natürliche Untergrenze für die Immobilienpreise, etwa die Preise von Grundstücken zuzüglich der Baukosten?
Nicht unbedingt. An Standorten mit großem Überangebot spielen diese Größen keine Rolle. In Städten mit knappem Angebot sichern sie den Markt hingegen schon nach unten ab. Denn wenn die Preise unter dieses Niveau fielen, würde eben keiner mehr bauen – solange die Marktkräfte frei wirken können.
Quelle: WirtschaftsWoche