Mitte Juni beschloss der Berliner Senat einen Mietendeckel. Seither machen Berater in Mietervereinen Überstunden: Die Not macht viele Vermieter erfinderisch.
„Es ist die Hölle“, sagt die Rechtsanwältin Petra Goebel. Sie lächelt, doch ihre Augen wirken müde. Es gab Zeiten, da kam sie in ihr Büro des Berliner Mietervereins und traf auf drei oder vier Mitglieder, die auf einen Beratungstermin bei ihr warteten. Seit dem 18. Juni ist das anders. Schon morgens, noch bevor die Sprechstunde beginnt, stehen die Menschen oft Schlange vor ihrem Büro. Auch tagsüber ist der Wartebereich eigentlich immer voll. Ihre Arbeitsbelastung habe sich mindestens verdoppelt, sagt sie, wenn nicht sogar verdreifacht. Ob sie erschöpft sei? „Ich bin einfach sehr müde“, sagt sie.
Was Petra Goebel so viel Arbeit beschert, ist eine Entscheidung des Berliner Senats: der Mietendeckel. Im ganzen Land wird über die Entwicklung am Immobilienmarkt gestritten, aber vor allem in Metropolen ist die Lage dramatisch. In Hamburg, München und Berlin herrscht große Wohnungsnot. Wer eine neue Unterkunft sucht, findet sich auf den Besichtigungsterminen oft mit Dutzenden, manchmal mehr als 100 Mitbewerbern wieder – und viele Vermieter nutzen die große Nachfrage aus. Seit Jahren steigen die Mieten. In besseren Wohnlagen etwa zahlt man heute selbst in Berlin auch mal mehr als zehn Euro pro Quadratmeter, auch in einfachen und mittleren Wohngegenden stieg der Mietpreis in den vergangenen 15 Jahren um knapp 60 Prozent.
Schon 2015 entschied sich der Bund, dem Missstand mit der Einführung der Mietpreisbremse entgegen zu wirken – hatte damit allerdings nur mäßigen Erfolg. Laut einer Evaluation des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) von Januar 2019 liegen die Mieten in vielen Großstädten nach wie vor über der zulässigen Obergrenze. Ein Effekt der Mietpreisbremse konnte zwar gemessen werden, konstatierten die Forscher, allerdings nur in einer Größenordnung von zwei bis vier Prozent.
Der Berliner Senat verlor irgendwann die Geduld – und entschied daher am 18. Juni, die Mieten auf fünf Jahre hinweg zu deckeln. Bislang gibt es nur ein Eckpunktepapier. Aber auch das ist ein radikaler Schritt, der alle bisherigen Mietregelungen anderer Metropolen in Deutschland übertrifft.
Kalkulierbare Mietkosten und die notwendige Abkühlung für den überhitzen Berliner Wohnungsmarkt – das war die Hoffnung. Doch die Realität sieht, wie so oft, anders aus: Denn statt sich an die Vorgaben des Senats zu halten, wurden viele Vermieter erst mal erfinderisch. Nach dem Motto: Handeln, bevor es zu spät ist, nutzten sie alle möglichen Auswege, um in letzter Minute noch das Beste für sich herauszuholen.
Laut Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sind „zigtausend“ kurzfristige Mieterhöhungen in den vergangenen vier Woche bei seinem Verein eingegangen. Seine Kollegin Petra Goebel berichtet von Beraterinnen in der Telefonsprechstunde des Vereins, die täglich bis zu 100 Anrufe verzweifelter Mieterinnen und Mieter erreichen. Und die Vereinsmitglieder, die ihre Anfragen per Mail schicken oder persönlich vorbeikommen, kommen ja noch oben drauf. „Der aktuelle Ansturm ist einfach Wahnsinn“, sagt Goebel. „Wenn ich abends nach Hause gehe, fühle ich mich wie von einem Bus überrollt“, sagt eine andere Beraterin der Mietervereinigung Berlin.
Ein junges Ehepaar aus Charlottenburg hat noch einen Termin bekommen. Wie sie heißen und wer ihre Vermieter sind, wollen sie nicht veröffentlicht sehen, zu groß ist ihre Angst vor noch mehr Mietärger. Zwei Tage bevor der Senat das Eckpunktepapier zum Mietendeckel vorstellte, hatten sie einen Brief ihres Vermieters aus dem Briefkasten gezogen: Angekündigt wurde eine Erhöhung um elf Prozent. Das Ehepaar tauscht einen verzweifelten Blick. „Was unser Vermieter macht, ist Schikane“, sagt der Mann. Wenn die Miete weiter erhöht werde, könnten sich seine Frau und er die Wohnung irgendwann nicht mehr leisten. Petra Goebel schüttelt den Kopf, als sie die Ankündigung und den Mietvertrag vergleicht: „Die Betriebskosten sind zu hoch angesetzt.“ Viele Vermieter nutzten diesen Trick, um quasi durch die Hintertür eine Mieterhöhung durchzusetzen: Die Netto-Kaltmiete bleibt gleich, die Betriebskosten steigen um 15 Prozent – das Ganze allerdings ohne Begründung.
Wie viele der aktuellen Mieterhöhungen tatsächlich auf den drohenden Mietendeckel zurückzuführen sind, ist allerdings kaum auszumachen. Auch der im April veröffentlichte Mietspiegel könne Grund dafür sein, dass Vermieter nun nachbessern, sagt Petra Goebel. Das Eingangsdatum der Mieterhöhung mache sie dann aber eben doch stutzig und lasse entsprechende Rückschlüsse zu.
Quelle: ZEIT ONLINE