Die Münchner Wohnungsgesellschaft Dawonia wird keine neuen Wohnungen mehr bauen. Unternehmens-Chef Claus Lehner erklärt die Gründe im Interview.
München – Mit 27.000 Wohnungen zählt die Dawonia – hervorgegangen aus der GBW Gruppe der BayernLB – zu den größten Wohnungsgesellschaften in Süddeutschland. Ein paar neue Wohnungen werden in Zukunft noch dazu kommen, aber dann ist Schluss. Im Interview erklärt Dawonia-Chef Claus Lehner, warum er nicht mehr neu bauen wird.
Wie würden Sie die aktuelle Lage am Wohnungsmarkt beschreiben?
Unser Unternehmen baut seit 85 Jahren Wohnungen. Sieht man einmal von den 30er-Jahren ab, gab es kaum Phasen in der Firmengeschichte, in denen nicht neu gebaut wurde. Ich selbst arbeite seit 2009 im Unternehmen, seitdem haben wir jedes Jahr neu gebaut. Aber unter den aktuellen Bedingungen ist das nicht mehr möglich, wir können nicht mehr bauen – genaugenommen können wir nicht mehr neu bauen.
Neubau heißt, bestehende Aufträge werden noch abgearbeitet, es gibt aber keine neuen Projekte mehr?
Genau. Wir haben in Bayern noch rund 40 Baustellen für 1000 neue Wohnungen. Diese Baustellen werden noch beendet, aber dann kommt nichts mehr nach. Man muss sich das mal im Vergleich anschauen: Seit unserem Verkauf durch die BayernLB haben wir 3600 neue Wohnungen gebaut, das sind drei Mal mehr als zu Landesbank-Zeiten. Aber das geht jetzt nicht mehr. In zwei bayerischen Städten mussten wir geplante Neubauprojekte sogar auf Eis legen.
Warum?
Das sind zum einen die Zinsen: Im Moment zahlen wir im Schnitt rund 3,5 Prozent. Im historischen Vergleich ist das zwar nicht wirklich hoch, aber die Geschwindigkeit, mit der die Zinsen gestiegen sind, hat uns schon überrascht – innerhalb eines Jahres ging‘s um drei Prozentpunkte nach oben.
Was hindert Sie noch am Neubau?
Die gestiegenen Baukosten. Zu Spitzenzeiten lagen die Baukosten bei 5500 Euro pro Quadratmeter.
Außerhalb Ihrer Branche dürfte mit dieser Zahl kaum jemand etwas anfangen können.
In diesen 5500 Euro ist alles eingerechnet: Architekt, Bau, Umsatzsteuer. Von diesem Spitzenwert sind wir inzwischen wieder ein paar Prozent runter, aber das bringt uns kaum etwas. Als ich 2009 hier angefangen habe, waren wir beim Neubau – halten Sie sich fest – bei 2500 Euro pro Quadratmeter. Das heißt: Bei einer Miete zwischen zwölf und 14 Euro waren wir kostendeckend.
Und jetzt?
In München müssten wir 26 bis 28 Euro pro Quadratmeter Miete verlangen, ansonsten verlieren wir mit einem Neubau Monat für Monat Geld.
Wer hat Schuld daran?
Den einen Schuldigen gibt es nicht. Klar: Der Ukraine-Krieg hat die Energie verteuert, die Inflation hat angezogen und zu höheren Zinsen geführt. Es wäre also zu leicht, dem Staat die alleinige Schuld zu geben. In den vergangenen Jahren haben die ökonomischen Rahmenbedingungen einfach nicht gepasst. Aber der Staat trägt eine große Mitverantwortung an der aktuellen Lage, leider.
Inwieweit?
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Regulierung massiv zugenommen. Während die Zinsen niedrig und die Baukosten gering waren, fiel die Überregulierung kaum auf.
Was bedeutet Regulatorik in Ihrer Branche?
Ein Beispiel: Wenn ich heute einen Kredit bei der Landesbank aufnehmen möchte, muss ich nachweisen, dass ich die Grundsätze der guten Unternehmensführung im Griff habe, dass Geldwäsche ausgeschlossen ist, und vieles mehr. Es geht also gar nicht mehr nur um die übliche, ohnehin bereits ausufernde Regulatorik, mit der sich Bauträger konfrontiert sehen, also energetische Sanierung, Mietregulatorik und so weiter. Was ein Bauträger heute an regulatorischen Pflichten zu erfüllen hat, ist abartig.
Wie ließe sich das Problem lösen?
Es wäre eine gute Idee, mit einem mindestens fünfjährigen Regulierungsmoratorium anzufangen.
Was genau meinen Sie damit?
Das heißt, wir haben einen Zeitraum von fünf Jahren, in dem es keine neuen Bauauflagen gibt und der Staat auch nicht ins Mietrecht eingreift. Die Kräfte des Marktes müssen sich wieder freier entfalten können. Der Staat hat geglaubt, mit immer mehr Regulierung alles hinbiegen zu können. Aber wir sehen jetzt, dass das nicht geht. Wir werden zu Tode reguliert. Und wir als Dawonia würden ja auch liebend gerne Wohnraum schaffen. Bei uns im Unternehmen arbeiten 40 Architekten, die nichts lieber machen als neue Projekte zu planen, sich gerade aber um die Sanierungen von Altbauten kümmern.
Hat die Politik den Ernst der Lage erkannt?
Vor drei Wochen war ich bei Frau Geywitz, um mit Ihr über das Problem zu sprechen (Anm. d. Red.: Klara Geywitz, SPD, ist Bundesbauministerin). Nach dem Gespräch war ich mir nicht so ganz so sicher, ob das Problem wirklich verstanden wurde. Sie verwies darauf, dass der Bau effizienter werden muss und dass mehr seriell gebaut werden muss, also mit vorgefertigten Modulen. Natürlich ist serielles Bauen ein Teil der Maßnahmen, es ist aber nicht alles. Mein Eindruck ist, dass bei der jetzigen Koalition der Ernst der Lage noch nicht so richtig angekommen ist. Schlimmer noch: Man verschließt die Augen.
Immerhin hat die Bundesregierung vor einem halben Jahr auf dem Wohnbaugipfel Vorschläge präsentiert, wie das Bauen beschleunigt werden soll.
Das stimmt, aber der Verdacht einer Show-Veranstaltung wurde eher größer. Die Pressekonferenz fand vor dem eigentlichen Gipfeltreffen statt, und die FDP war über den 14-Punkte-Plan nicht einmal informiert. Der Ernst der Situation scheint den handelnden Personen nicht bewusst gewesen zu sein. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen, zum Beispiel verbesserte Abschreibungs-Regeln, dem Neubau helfen werden. Die Bundesregierung tut nicht nichts, aber es reicht nicht.
Der Staat hat geglaubt, mit immer mehr Regulierung alles hinbiegen zu können. Aber wir sehen jetzt, dass das nicht geht. Wir werden zu Tode reguliert. –Claus Lehner
Auch die Digitalisierung soll vieles vereinfachen.
Da sind wir in Bayern aber leider sehr weit hinten. Wir haben bis heute keinen digitalen Bauantrag. Die Folge ist, dass viel Zeit vergeht, bis ein Bauantrag bewilligt ist.
Dabei brüstet sich die bayerische Staatsregierung gerne damit, bei der Digitalisierung ganz vorne mitzuspielen.
Ich hab‘ davon so viel noch nicht gesehen, dabei könnte eine digitale Bauakte den Neubau enorm beschleunigen. In vielen Ländern ist das längst Standard.
Wie lange dauert es von der Projektidee bis zur Fertigstellung eines Wohngebäudes?
Da reden wir von fünf Jahren. Und wir sehen ja gerade, wie sich die ökonomischen Rahmenbedingungen innerhalb kurzer Zeit ändern können, was fatal ist.
Auf der Baustelle reden viele mit: EU, Bund, Freistaat, Kommunen. Liegt der größte Hebel für den Neubau tatsächlich in Berlin?
Es stimmt, beim Bau haben wir eine komplexe Gemengelage. Natürlich kommen Vorgaben für energetische Standards immer öfter aus Brüssel. Aber umsetzt werden die EU-Vorgaben in Berlin, und dort werden die Vorgaben meist strenger umgesetzt als in anderen EU-Ländern. Auch die Mietpreisbremse wurden in Berlin beschlossen. Es ist schon die Bundesregierung, die in kurzer Zeit am meisten ändern könnte.
Wenn ich Sie richtig verstehe, sollte sich der Staat beim Wohnungsbau weitgehend raushalten?
Nein, das nicht. Und ich bin auch nicht dafür, alles einem völlig unregulierten Markt zu überlassen. Aber Maß und Mitte sind verloren gegangen. Im sozialen Wohnungsbau brauchen wir Förderung, hier geht es nicht ohne. Wir hatten einmal zwei Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, jetzt sind es nur noch eine Million. Die Idee eines „Wohnungsbau-Wumms“ von 100 Milliarden Euro finde ich daher im Grundsatz nicht schlecht.
Fällt Ihnen eine Kommune ein, bei der trotz aller Umstände etwas voran geht?
Erlangen, ganz klar. Was die machen, ist vorbildlich.
Was macht Erlangen anders?
Der Oberbürgermeister in Erlangen heißt Florian Janik. Der steht morgens auf und fragt sich, wo man als nächstes bauen kann. Bis abends um 18 Uhr, so sieht es aus, lässt es ihm keine Ruhe, solange er nicht weiß, wo in Erlangen noch ein paar hundert weitere Wohnungen stehen könnten.
Sprechen Sie aus Erfahrung?
Ja. Wir hatten in Erlangen ein Bauprojekt in einer Siedlung mit Gebäuden aus den 60er- und 70er-Jahren. Am Ende haben wir zwischen die alten Gebäude moderne kleine Gebäude mit vier oder sechs Geschossen gebaut, nachhaltig aus Holz. 650 neue Wohnungen sind entstanden. Das Beispiel Erlangen zeigt: Wenn der politische Wille zum Neubau da ist, kann ich’s hinbekommen – trotz widriger Umstände. Wenn dann noch die Bundesregierung mehr tun würde, könnte etwas in Gang kommen.
Quelle: Merkur.de