Wohnimmobilien wurden vergangenes Jahr auffällig zurückhaltend eingekauft und verkauft, wie Studien zeigen – nur in Teilsegmenten boomte das Geschäft, etwa bei Mikroapartments und gefördertem Wohnen. Für 2023 erwarten die Experten zunächst eine Preisfindungsphase am deutschen Investmentmarkt.
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland Wohnimmobilien für rund zwölf Milliarden Euro gehandelt. Das entspricht nicht einmal einem Viertel des Transaktionsvolumens 2021 mit rund 52 Milliarden Euro – und ist der niedrigste Wert seit zehn Jahren. Zu diesem Ergebnis kommen die Maklerhäuser Savills und JLL. NAI Apollo und BNP Paribas Real Estate (BNPPRE) berichten von rund 13 Milliarden Euro.
Laut Karsten Nemecek, Managing Director Corporate Finance – Valuation bei Savills Germany, ist die Zurückhaltung vieler Investoren fast ausnahmslos der Zinswende geschuldet. An der Stabilität und Attraktivität des Mietwohnungsmarktes zweifeln demnach nur die wenigsten Akteure.
„Die Preisvorstellungen zwischen Käufern und Verkäufern lagen im vergangenen Jahr zunehmend auseinander. Viele Marktakteure haben ihre Ankaufsziele deswegen im Laufe des Jahres nach unten angepasst“, erklärt Michael Bender, Head of Residential JLL Germany.
Interesse an (großen) Wohnimmobilien-Portfolios sinkt
Der Rückgang am Wohninvestmentmarkt betraf nach Angaben von JLL vor allem große Portfoliodeals. Demnach hatten die fünf größten Transaktionen im Jahr 2022 nur einen Anteil von zwölf Prozent am Jahresumsatz. Im Vorjahr waren es laut JLL noch zwei Drittel. Überregionale Paketdeals machten nur ein Viertel des Gesamtumsatzes aus – die Hälfte des Durchschnittswerts der vergangenen fünf Jahre.
„Besonders auffällig bei den Investmentaktivitäten im abgelaufenen Jahr ist die geringe Bedeutung von Abschlüssen oberhalb der 500 Millionen-Euro-Marke“, bemerkt Dr. Konrad Kanzler, Head of Research der NAI Apollo. Auch nach Berechnungen von BNPPRE entsprach die Aktivität im großvolumigen Segment im Jahr 2022 mit einem Investmentanteil von rund fünf Milliarden Euro in Portfolios dem niedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Der Markt sei wesentlich kleinteiliger geworden. Hier mache sich die Zinswende überproportional stark bemerkbar.
Robust: „Mikrowohnen“ und „gefördertes Wohnen“
Während der Umsatz am Wohninvestmentmarkt Savills zufolge 50 Prozent unter dem Fünf-Jahres-Mittel blieb, performten Teilsegmente besser: So belief sich das Transaktionsvolumen bei Studenten- und Mikrowohnungen im Jahr 2022 auf zirka 1,2 Milliarden Euro. Das entspricht einem Plus von 16 Prozent gegenüber dem Fünf-Jahres-Mittel und ist das zweithöchste bislang erfasste Volumen.
„Angesichts der weiteren Verschärfung der Lage an den Mietwohnungsmärkten dürften diese flexibel und hürdenfrei mietbaren Wohnkonzepte auch zukünftig stark nachgefragt werden“, kommentiert Matti Schenk, Associate Research bei Savills Germany. Die überdurchschnittliche Fluktuation ermögliche den Eigentümern zudem eine regelmäßige Mietanpassung, vor dem Hintergrund der hohen Inflationsrate wecke diese Wohnform deshalb „großes Interesse seitens der Investoren“.
Bei Transaktionen, die ausschließlich oder teils geförderte Wohnungen beinhalten, wurde laut Savills das Fünf-Jahres-Mittel beim Umsatz um zwölf Prozent übertroffen. Das Transaktionsvolumen belief sich laut dieser Studie im Jahr 2022 auf knapp 1,5 Milliarden Euro.
Private-Equity-Käufer auf dem Vormarsch
Im Jahr 2022 waren nach Beobachtung von Savills offene Spezialfonds (29 Prozent Volumenanteil) und sonstige Fondsmanager und Asset Manager (18 Prozent) die aktivsten Käufergruppen. Auf den Rängen drei und vier kamen Private-Equity-Fonds und Offene Publikumsfonds mit Anteilen von jeweils rund zehn Prozent. Während fast alle Investorengruppen das Ankaufsvolumen reduzierten, kauften Private-Equity-Fonds und offene Publikumsfonds demnach so viel direkt an wie seit dem Jahr 2009 nicht mehr.
„Die offenen Wohnimmobilien-Publikumsfonds haben noch einen hohen Anlagedruck und gehören zu den eigenkapitalstarken Akteuren, die das momentan ausgedünnte Bieterfeld ausnutzen, um ihr Portfolio auszubauen“, berichtet Nemecek. Die Private-Equity-Investoren stünden seit Beginn der Zinswende in den Startlöchern und hofften auf deutliche Preisrückgänge und einen günstigen Wiedereinstieg in den deutschen Markt.
JLL zufolge dominierten Asset- und Fondsmanager sowie Immobilienunternehmen mit einem Anteil von 78 Prozent das Marktgeschehen. Laut NAI Apollo vereinten im Detail Fonds mit rund 38 Prozent die größten Marktanteile auf sich, gefolgt von Asset Managern und Fondsmanagern (14 Prozent) und Immobiliengesellschaften (knapp 13 Prozent), was sich auf zirka 67 Prozent summiert.
Ausblick auf 2023: Investmentralley unter Bedingungen
Savills erwartet, dass der Wohninvestmentmarkt im Laufe des Jahres 2023 wieder an Dynamik gewinnt – aber nicht an das Niveau vor der Zinswende anknüpfen kann. „Grundsätzlich sprechen die sehr guten Fundamentaldaten nach wie vor für Investitionen in den deutschen Wohnungsmarkt“, so Nemecek. Sollten sich die Bedingungen bei Sanierungen so ändern, dass sie aus Eigentümersicht profitabler werden, könnte der Markt hier eine Investmentrallye erleben. Savills und JLL rechnen mit einer weiteren Segmentierung des Marktes nach dem energetischen Zustand der Objekte.
Weil die Anfangsrenditen bei Mehrfamilienhäusern vor Beginn der Zinswende zu den niedrigsten am deutschen Immobilienmarkt gehörten, sei das Segment im Jahr 2022 besonders empfindlich von dem veränderten Finanzmarktumfeld getroffen worden, heißt es bei Savills weiter. Käufer erwarteten deutlich niedrigere Multiplikatoren, während Eigentümer nur zu moderaten oder keinen Preisnachlässen bereit waren. Aus dieser Zurückhaltung ergeben sich Chancen für die Investoren, die aktuell zu Ankäufen von Wohnimmobilien bereit sind.
„Käufer und Verkäufer befinden sich weiterhin in einer Preisfindungsphase“, so Dr. Marcel Crommen, Geschäftsführer von NAI Apollo. Steigende Finanzierungskosten und die drohende Rezession in den sorgten dafür, dass Investoren weiterhin verhaltener seien als in den Vorjahren. Laut BNPPRE wird im Laufe des zweiten Quartals 2023 die Planungssicherheit der Akteure deutlich steigen.
Das „S“ in ESG wird weiter an Bedeutung gewinnen
Weil für viele Haushalte wegen der infolge des Krieges in der Ukraine stark gestiegenen Energiepreise die Wohnkostenbelastung stark zugenommen hat, plant die Bundesregierung, den Bestand an Sozialwohnungen zu erhöhen und die Entwicklung von bezahlbarem Wohnraum gezielt zu fördern.
„Investitionen in den geförderten Wohnungsbau werden aus Investorensicht angesichts der stark gestiegenen Fremdkapitalkosten wieder attraktiver. Denn diese versprechen neben zinsgünstigen Darlehen auch direkte Fördergelder und weitere Tilgungszuschüsse“, erläutert Helge Scheunemann, Head of Research JLL Germany. Für langfristig orientierte und eher defensive Anleger sei der geförderte Wohnungsbau besonders interessant.
Der Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit – also das „S“ in ESG – werde dazu beitragen, dass auch 2023 ein stärkerer Investorenfokus auf gefördertem Wohnen liege, meint Savills-Experte Schenk.
Quelle: Haufe Online Redaktion